Michael Helm

Berlin – Ein Reiserückblick

vom 07. August 2023

Wenn ich in Berlin und Hamburg bin, verbinde ich die Reisen gerne mit Theaterbesuchen. Da die Sommerpause am Berliner Ensemble noch nicht begonnen hatte, haben wir noch zwei schöne Abende dort verbringen können:

Erstens eine Lesung mit Katharina Thalbach. Gabriele Tergit: „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“. Wenn Frau Thalbach die Bühne betritt, hat sie das Publikum auf ihrer Seite. Der Witz, den sie in Gestik, Mimik und in ihre Sprechweise legt, ist unübertroffen. Lange habe ich nicht mehr so viel gelacht, obwohl die Lesung viele nachdenkliche Momente hat.

Zweitens eine Inszenierung von Luk Perceval. Lion Feuchtwanger: „Exil“. Sehr starkes Bühnenbild, es bestand aus zahlreichen Stühlen, die zusammengestellt den Bühnenaufbau bildeten. Eine zurückgenommene Inszenierung, die von den Darsteller*innen und der Sprache lebte.
Feuchtwanger war lange nicht mehr präsent. An dem Roman Exil arbeitete er in den späten 1930er Jahren. Er erschien 1940. Die Hauptfigur, ein Komponist, ist vor den Nationalsozialisten aus München geflohen und lebt bereits zwei Jahre im Pariser Exil. Das Leben im Exil, der Kampf gegen den immer stärker werdenden Einfluss der Nationalsozialisten, die Intrigen, das Scheitern in der eigenen exilierten Familie, das sind Themen, die auch heute wieder brisant erscheinen.

Beide Theaterabende haben Lust gemacht, wieder öfter nach Berlin zu kommen.

Berlin – Ein Reiserückblick

vom 06. August 2023

Der Faltenwurf, ein dezent vorgestrecktes Knie unter dem Umhang. Immer wieder faszinieren mich die griechischen Skulpturen im Alten Museum und im Pergamon Panorama-Museum. Ich kann nicht vorbeigehen. Wenn doch, blicke ich oft noch einmal zurück, bleibe wieder stehen. Es ist die Kunst der Andeutung. Dennoch bekommen wir eine genaue Vorstellung von diesem Körper. Ebenmaß. Perfektion. Idealbild des Menschen, wie es sich die griechischen Künstler dachten.

Berlin – Ein Reiserückblick

vom 05. August 2023

Ich war froh, dass Emmanuel Macron seinen Staatsbesuch abgesagt hatte. Ich wüsste nicht, wie voll und umständlich es dann geworden wäre. Ich persönlich fand mein Date mit Pallas Athene im Alten Museum auch aufregender und die Athene sehr viel attraktiver. Aber Hauptstädter*innen gehen mit solchen Staatsbesuchen ja eh sehr gelassen um. Den Christopher Street Day haben wir dann aber leider verpasst. Das bunte Treiben finde ich wunderbar. Demos gab es während unseres Besuchs allerdings genügend. Am liebsten sind mir jedoch die abendlichen „Demonstrationen“ auf den Spreewiesen; weltoffen, gelassen, ein bisschen herzlich sprachverwirrt, einfach beieinander sitzen, tanzen, schnacken und gut ist. Wir kommen schon klar.

Berlin – Ein Reiserückblick

vom 04. August 2023

Berlin ist laut. Berlin ist quirlig. Schnell denke ich, hier leben, nie und nimmer. Wenn ich dann wieder fort bin, verklärt sich das Bild und ich möchte am Liebsten gleich wieder hin. Wir waren den ganzen Tag in Sachen Kultur auf den Beinen und wurden dennoch nicht müde. (Die Beine wurden es schon.) Von einem Eindruck zum nächsten und immer die Faszination sich auseinanderzusetzen. Das Wetter war so schön, dass wir immer wieder draußen sitzen und ein kleines Päuschen einlegen konnten. In der Provinz sehne ich mich nach Berlin, in Berlin sehne ich mich in die Provinz.

Ein Reiserückblick

vom 03. August 2023

Auf der Reise habe ich eine engagierte Politikerin getroffen, eine sympathische Vertreterin einer demokratischen Partei. Wir kamen ins Gespräch und ich hatte nicht meinen besten Tag. Alles, was ich erwidern wollte, fiel mir erst hinterher ein. Aber das geht mir fast immer so.

Wir sprachen über die Wahlbeteiligung, die bei einer gerade stattgefunden Landratswahl sehr gering gewesen war und ich meinte, dass mir sogar siebzig Prozent bei einer demokratischen Wahl zu wenig seien. Ihr Einwand begann mit: „Ja, man müsse verstehen … nicht alle könnten …“ Ich schwieg.

Ein anderer Punkt war schwerwiegender. Es sei teils schwierig, Wahlkampf auf der Straße zu machen, weil man von manchen Bürgern angegangen, ja bespuckt werde. Das schockierte mich. Ich schwieg.

Ich frage mich mittlerweile, ob das – so schlimm es klingt – nicht das geringere Übel ist. Worauf wollen wir warten? Bis wir bei politischen Meinungsäußerungen auf der Straße befürchten müssen, verhaftet zu werden? Die Tage in der demokratischen Wohlfühlzone sind offensichtlich vorbei. Zu schweigen, hilft nicht.

Der Politikerin war es offenbar sehr wichtig, zuzuhören, zugewandt zu sein, was ich sehr hoch schätze. Mir fehlte jedoch eine deutliche Aussage, mir fehlte das klare Wort: „Das ist meine Sicht. Dafür trete ich an.“ Nein. Wenn dreißig Prozent der Wahlberechtigten ihre demokratische Freiheit nicht nutzen, ja, auch ihrer demokratischen Pflicht nicht nachkommen; Entschuldigung, dann ist mir das zu wenig. Wenn Menschen, die auf der Straße ihre Meinung kundtun, bespuckt werden, ist das erschreckend und eine grundsätzliche Grenze von Demokratie ist überschritten. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zu schweigen, hilft nicht. Nur Zuhören reicht da auch nicht mehr.

Weimar – Ein Reiserückblick

vom 02. August 2023

Ich habe in zwei Buchhandlungen in Weimar gestöbert. Das sind kleine Geschäfte, die nicht in jeder Stadt gleich aussehen, in denen man mit kompetenten Menschen über Literatur reden kann. Menschen die unter Literatur nicht nur Krimis verstehen.

In Hoffmann`s Buchhandlung in der Schillerstraße fand ich alles, was das Klassikerherz höher schlagen lässt. Hier waren neben Goethe & Schiller und dem, was man an touristischen Beigaben verkaufen muss, auch die ganzen schönen, neuen Wieland-Veröffentlichungen zu finden. Zum Stöbern geeignet.

Ein tolles handverlesenes Angebot hatte auch die Buchhandlung Eckermann. Hier durfte ich zudem Zuhörer zweier Lesungen sein, die sich gelohnt haben. Auch wenn Autor*innen-Lesungen nicht immer so gut besucht werden, wie wir es uns wünschten, die Stimmung war umso intensiver. Manchmal ist es schon interessant, den Diskussionen anderer zu lauschen. Auf Reisen beobachte ich lieber. Der Verfasser schmunzelt.

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Weimar ist eine kleine Stadt, alles ist zu Fuß zu erreichen. Autos hörte ich selten. An vielen Orten kann man draußen sitzen, essen und trinken. Es ist gemütlich. Abends gab es im Café hinter dem Museum zur Weimarer Republik regelmäßig Lesungen und kleine Konzerte. Open Air Rock hörten wir am Goetheplatz. Am Theaterplatz zu sitzen, am Eis zu schlecken und die Leute zu beobachten, die aus aller Welt herkommen, war mir abendliche Gewohnheit geworden. Es herrschte ein mediterranes Flair.

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Weimar ist eine Stadt die fokussiert. Auf Kunst und Kultur: die vielen Museen zur Weimarer Klassik, Goethehaus, Schillerhaus, Herderkirche, Wielandgut. Auf deutsche Geschichte: das Museum zur Weimarer Republik, die Gedenkstätte Buchenwald auf dem Ettersberg, das Speziallager Nr. 2, das die Sowjetunion bis 1950 weiterführte, als der Krieg schon vorbei war. Die Häuser des ehemaligen Fürstentums, die Anna Amalia-Bibliothek. Auch die Geschichte des Bauhaus ist mit Weimar verknüpft und kann heute dort besichtigt werden. Weimar kann über Tage hinweg solche Anregungen bieten. In Museen kann man sich die Füße müde stehen, aber der Geist kommt dabei nicht zu kurz. Gut, wenn man anschließend in einer der Cafés oder Gasthäuser sitzen kann, um grünen Tee oder Köstritzer zu genießen. Der Verfasser schmunzelt schon wieder.

Weimar – Ein Reiserückblick

vom 01. August 2023

Der Park an der Ilm. Wenn es so heiß ist, wie in den letzten Sommern, ist es ein Genuss, hier zu flanieren. Das kleine Gartenhaus Goethes besuche ich immer, auch wenn ich meistens einfach im Garten sitzen bleibe, um zu schauen. Der Blütenpracht, der Anlage, meinen Gedanken nachgehen. Die Skulpturen im Park, die kleine Grotte, die Ilm, das römische Haus, das alles habe ich bereits gesehen, aber das spielt keine Rolle. Es ist wie zu Hause, dort sehe ich vieles auch täglich. Aber ich möchte es hier anschauen, immer wieder anschauen.

Im vergangenen Jahr haben wir am letzten Schultag vor den Ferien in Thüringen die Schüler*innen hier ausgelassen feiern sehen. Es war lebhaft, selbstverständlich, aber es war lebendig, nicht antik.

Weimar – Ein Reiserückblick

vom 31. Juli 2023

Im Shakespeares lecker gegessen. Ein kleines Restaurant in Weimar, das seit Jahren da ist, wenn wir da sind. Und das ist heutzutage nicht selbstverständlich. Thüringische Spezialitäten, gute Salate, heimisches Bier. Sitzen im Biergarten, bei dieser Wärme, … reden, genießen, … passt.

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Oft sind wir in den Theaterferien unterwegs oder es sind nur die leichten Sommertheaterangebote im Programm; leichte Kost, open air, fast immer ausverkauft. Diesmal nicht.

Wir wurden im Deutsche Nationaltheater Weimar in die ersten beiden Reihen geführt. Obwohl das Stück ausverkauft war, waren die hinteren Reihen abgesperrt. Dort belehrt darüber, was wäre, wenn jemand von uns Platzangst hätte, folgten wir dem Bühnenpersonal auf die Hinterbühne in die Dunkelheit. Zu sitzen kamen wir auf schmalen, engen Bänken in einem Bahnwaggon? Die Türen wurden krachend zugeschlagen. Dunkelheit.

Das Stück „Die große Reise“, nach einem Roman von Jorge Semprún, spielt im Deportationszug von Paris nach Buchenwald. In der Enge des Waggons, mitten im Publikum, spielte das Puppentheater aus Gera dies Stück mit lebensgroßen Puppen und Schauspieler*innen im funzeligen Licht. In bedrückender Nähe. Vor allem die Geräusche, die von Außen auf uns eindrangen … Woher stammt das? … Was ist das? … Die präzise gespielt und gesprochenen Dialoge zwischen Gérard und dem Jungen aus Semur. Alle befinden sich auf dem Abtransport im Viehwaggon nach Deutschland, nach Buchenwald. Sie wissen nicht wohin, von Hunger, Durst und Angst bedroht. Ein verstörender Abend, dem ein längeres Schweigen folgte. Ein guter Abend.

Dies geschah mir, obwohl ich „Die große Reise“ von Jorge Semprún bereits kannte, wie viele seiner anderen Romane. Aber ich werde sie lesen, wieder und immer wieder lesen. Und immer wieder werde ich die Gedenkstätte oben auf dem Ettersberg besuchen.

Weimar – Ein Reiserückblick

vom 30. Juli 2023

Erneuter Besuch der Ausstellung zur Weimarer Republik. Kernthese: Die junge Republik ist nicht an ihren Kinderkrankheiten zugrunde gegangen, sie ist von der extremen Rechten zerstört worden. Dass da Gedanken an unsere Tage wach werden, verwundert nicht.
Die Ausstellung am Theaterplatz ist multimedial sehr gut aufbereitet. Ich besuche sie gerne, weil ich mir jedes Mal einen anderen Bereich der Geschichte der Republik herausgreife. Dieses Mal: Film, Kunst & Kultur in der Weimarer Zeit. Es gibt Filmszenen und Hörbeispiele, denen ich mich intensiv gewidmet habe.

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„Der Himmel verhüte, daß ich von irgend einem denkenden Wesen verlange, mit mir überein zu stimmen, wenn er von der Richtigkeit meiner Behauptungen oder Meynungen nicht überzeugt ist; oder daß ich jemahls fähig werde, jemandem meinen Beyfall deßwegen zu versagen, weil er nicht meiner Meynung ist!“

Christoph Martin Wieland 
Der Neue Teutsche Merkur, Mai 1794,
gelesen in der Ausstellung in Oßmannstedt

Wanderung nach Oßmannstedt. Letztes Jahr im Wielandjahr nicht geschafft, dieses Jahr nachgeholt. Die Wanderung an einem Sommertag, an den man sich wohl gewöhnen muss, viel zu heiß. Das Wielandgut ist dennoch mit reichlich Wasser im Tagesrucksack zu Fuß gut zu erreichen und dank Deutschlandticket konnten wir problemlos mit der Bahn zurückfahren. Im Wieland-Gut findet sich eine kleine Ausstellung zum Leben und Werk des Weimarer Klassikers. Darüber hinaus wurde ich im örtlichen Weimarer Buchhandel aufmerksam auf die vielen relativ jungen Veröffentlichungen zu Wieland, inklusive neuer Wielandbiografie von Jan Philipp Reemtsma: „Die Erfindung der modernen deutschen Literatur. Eine Biographie“. Sehr lesenswert, habe ich mir raten lassen. Reemtsma hat auch einige Wieland-Werke neu herausgegeben.
„Also“, sagt sich der Reisende freudig, „Wieland lesen!“
Das Gut liegt übrigens landschaftlich sehr schön und das Grab des Klassikers kann man dort auch besuchen, im Schatten und unter Bäumen.

Weimar – Ein Reiserückblick

vom 29. Juli 2023

In den Sommerferien waren wir einmal wieder in Weimar unterwegs. Für mich eine Stadt der Entspannung.

Flanieren im Park an der Ilm, zwischen dem Café am Frauentor, dem Shakespeares, einem netten Restaurant mit schönem Biergarten, und dem wunderbaren Eiscafé am Theaterplatz. Und dann schaue ich mir einfach noch einmal an, was ich schon gesehen habe, vertiefen möchte, wieder entdecken oder neu anschauen. Weimar geht immer.

Hier also in den nächsten Tagen einige Reiseeindrücke im Rückblick.

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Im Café am Frauentor sitze ich gerne, … lange … und mit Genuss. Eines der wenigen Cafés, die ich kenne, wo ich keinen grünen Tee in Beuteln bekomme, grüner Tee nicht im kochenden Wasser serviert wird und ich nicht verblüfft angeschaut werde, wenn ich danach frage. Dort kam der Kellner bereits am zweiten Tag mit einem Lächeln auf mich zu: „Sencha im Kännchen?“
Die wissen dort halt, was mich glücklich macht. Grüner Tee garantiert meine geistige Wachheit. In dem Zustand genieße ich den Blick in Richtung Frauenplan, in Richtung Schillerhaus oder einfach den Blick auf die vorbeischlendernden Menschen. Die Seele baumeln lassen. Der Straßenmusik lauschen. Dafür bin ich in Weimar.