Die Lesescouts arbeiten fleißig. Ob in Hiddenhausen, Bünde oder Herford. In allen Gruppen haben wir mittlerweile in einem sehr kurzen Schuljahr vor Augen, dass die Auftritte nahen, wenn sie nicht bereits vor der Tür stehen.
Vorlesen macht Spaß!
In Hiddenhausen haben die Kurse der Olof-Palme-Gesamtschule damit begonnen, unsere sogenannten Grundschullesungen "auf die Bühne" zu bringen. Die Jungen lesen dabei in der Gemeindebücherei den Erstklässler*innen vor, das heißt, die Leseprofis präsentieren sich den Leseanfänger*innen. Das führt bei beiden zu deutlichen körperlichen Veränderungen, wenn ich das mit einem Schmunzeln so sagen darf: Die Großen bekommen eine ganz stolze Brust und die Kleinen große Augen. Und allen macht das Vorlesen Spaß. Ja, Vorlesen macht tatsächlich Spaß!
In Herford gehen die Jungs des Königin Mathilde Gymnasium auf die Zielgeraden. Nach der Generalprobe zittern sie auf den ersten Auftritt vor den fünften Klassen der Schule in der Aula. Da kann man schon mal nervös werden. "Gehört zum Auftritt", sagt der Trainer. Hilft aber auch nicht, das zu hören.
In Bünde steht an der Erich Kästner-Gesamtschule bald wieder die Kulturveranstaltung auf der Kleinkunstbühne "Niveau im Keller" an. Das Niveau bei diesen halbjährlichen Möglichkeiten mit Musik, Lesung oder Performance vor ein Publikum zu treten, ist dabei alles andere als abgründig. 9er und 10er freuen sich mit kurzen Texten, verteilten Rollen und verstellten Stimmen auftreten zu können.
Und ich freue mich, dass es so viele junge Menschen gibt, die mit Begeisterung Vorlesen und Zuhören.
Matinee in Herford entfällt
Es ist ja nichts Neues mehr. Aber nun ist es für meine letzte Lesung vor den Sommerferien auch amtlich: Die Matinee zu Heinrich Heine (Infos) in der Stadtbibliothek Herford am 10. Mai wird entfallen.
Da wir alle nicht wissen, wie es weitergehen wird, würde ich Sie bitten, hier regelmäßig nach zukünftigen Lesungen zu schauen. (Die Webseite ist neben Facebook mein einziger Draht zu Ihnen.)
Natürlich haben wir bereits Lesungen für den Herbst und das nächste Jahr in Planung. Das gilt für die Buchhandlung Herdecke, wie die Stadtbücherei Spenge, als auch die Herforder Stadtbibliothek. Aber es ist der Coronazeit geschuldet, dass die meisten Lesungen noch nicht auf der Veranstaltungsseite angekündigt sind. Das kann sich dann auch relativ kurzfristig ergeben. Wir dürfen alle gespannt sein!
Da die Schulen im Augenblick natürlich damit beschäftigt sind, die Jahrgänge zu betreuen, die vor einem Abschluss stehen und selbstverständlich erst einmal versuchen in den Kernbereichen für Schüler und Eltern da zu sein, finden auch die Lesescoutprojekte im Augenblick nicht statt.
Ich nutze die Zeit, um mich für ein Leben nach Corona vorzubereiten. Ihnen wünsche ich alles Gute. Bleiben Sie gesund. Denken Sie an diejenigen, die Ihre Solidarität und Hilfe brauchen.
Und schauen Sie doch einfach regelmäßig hier vorbei. Auf dem Block gibt es wöchentlich etwas Neues!
Ihr Michael Helm
Lesescouts an der EKG
Auch an der Erich Kästner-Gesamtschule (Bünde) gibt es das Projekt Lesescouts für Jungen nun schon einige Jahre. Das Vorlesetraining richtet sich an Schüler der Klassen 8 – 10, die sich im künstlerischen Vortrag von Jugendbuchtexten bis hin zu anspruchsvollen literarischen Werken spielerisch ausprobieren wollen.
Nach dem erfolgreichen Auftritt der 10er-Jungen, die beim Schuljubiläum vor über hundert Gästen ein kleines Kästner-Programm auf die Bühne gebracht haben, hat sich gestern wieder eine neue 8er-Gruppe gebildet.
Interessierte Jungen, die sich in nächster Zeit an J.R.R. Tolkiens Hobbit ausprobieren werden: die brüllen wie Orks, sabbern wie Gollum und mit Köpfchen werden sie kniffelige Abenteuer lösen als Bilbo Beutlin. Ein bisschen Wehmut im Herzen, dass die 10er nun gegangen sind – sie waren drei gute Jahre zusammen in diesem Projekt – freue ich mich jetzt auf die neue Truppe. Das Abenteuer kann wieder beginnen …
mh
Lesescout-Tour
Morgen geht’s zu meinen Lesescout-Jungs nach Bünde. Im Gepäck: der Hobbit, große literarische Begeisterung mit viralem Potenzial, pädagogische Erfüllung, Ausdauer & Klamotten. Letztere scheinen da fast unwichtig. ;)
mh
Aus dem Block …
Der Fremde
gesprochen von Ulrich Matthes
Meursault eine Stimme geben? Wer könnte das besser als Ulrich Matthes. Nach meiner Camus-Lektüre in den vergangenen Wochen, habe ich mir „Der Fremde“, gesprochen von Ulrich Matthes, angehört. Bei Hörbüchern bin ich sehr zurückhaltend. Ich mag einige sehr bekannte deutsche Hörbuchsprecher überhaupt nicht. Zu einer Stimme, auf die ich mich stundenlang einlasse, habe ich eine besondere Beziehung. Das muss passen. Das ist nicht zu begründen. Das ist eine Bauchentscheidung. Matthes passt.
Seiner Stimme kann ich zuhören, auf dem Sofa, auf einem Spaziergang, auf dem überfüllten Bahnsteig. Ich verliere nicht den Faden, wie es mir bei anderen häufig passiert. Er hält mich immer im Stück.
Camus´ Werke zu sprechen, insbesondere den Fremden, Meursault, ist eine besondere Herausforderung. Ulrich Matthes hält sich zurück, gibt dem Text genau die lakonische Stimmung, die er braucht. Gleichzeitig wirkt die Stimme in den Detailbetonungen nie monoton. Es entstehen Bilder beim Hören, wie sie mir selbst beim Lesen nicht gekommen waren, obwohl ich bei der Lektüre viel mehr Zeit hatte. Rhythmus, Tempo, Pause, das alles wird wunderbar in eine Stimme gebracht, wie ich sie mir für Meursault vorstelle. Diese Stimme bleibt in meinem Kopf. Dank des Autors, dank des Sprechers.
mh
24.08.1922 – Tucholsky vor einhundert Jahren
„Wir sind fünf Finger an einer Hand“, schreibt Kurt Tucholsky in einem Artikel der Weltbühne 1922. Die fünf aus dem Zitat, das sind Peter Panter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser, Theobald Tiger und Kurt Tucholsky selbst. Tucholsky ist eigentlich kein Pseudonym, aber unter all diesen Namen veröffentlichte er in den verschiedenen Zeitungen. Und der Name Tucholsky trollte sich eben wie ein solches im Reigen der anderen Pseudonyme. Zusammen hatten sie die Schlagkraft, die der 1890 in Berlin geborenen Tucholsky aufbringen musste, um gegen die Missstände in der jungen Weimarer Republik anzuschreiben, für die Freiheit und für die Demokratie. „Wir alle Fünf lieben die Demokratie.“
Wir alle Fünf von Kurt Tucholsky
Die rechtsstehende Presse amüsiert sich seit einiger Zeit damit, mich mit allen meinen Pseudonymen als »den vielnamigen Herrn« hinzustellen, »der je nach Bedarf unter diesem oder unter jenem Namen schreibt«. Also etwa: Schmock oder Flink und Fliederbusch oder so eine ähnliche Firma.
Aber wir stammen alle Fünf von einem Vater ab, und in dem, was wir schreiben, verleugnet sich der Familienzug nicht. Wir lieben vereint, wir hassen vereint – wir marschieren getrennt, aber wir schlagen alle auf denselben Sturmhelm.
Und wir hassen jenes Deutschland, das es wagt, sich als das allein echte Original-Deutschland auszugeben, und das doch nur die schlechte Karikatur eines überlebten Preußentums ist. Jenes Deutschland, wo die alten faulen Beamten gedeihen, die ihre Feigheit hinter ihrer Würde verbergen; wo die neuen Sportjünglinge wachsen, die im Kriege Offiziere waren und Offiziersaspiranten, und die mit aller Gewalt – und mit welchen Mitteln! – wieder ihre Untergebenen haben wollen. Und deren tiefster Ehrgeiz nicht darin besteht: etwas wert zu sein – sondern: mehr wert zu sein als die andern. Die sich immer erst fühlen, wenn sie einen gedemütigt haben. Jenes Deutschland, wo die holden Frauen daherblühen, die stolz auf ihre schnauzenden Männer sind und Gunst und Liebesgaben dem bereit halten, der durch bunte Uniform ihrer Eitelkeit schmeichelt. Und die in ihrem Empfinden kaltschnäuziger, roher und brutaler sind als der älteste Kavallerie-Wachtmeister. Wir alle Fünf hassen jenes Deutschland, wo der Beamtenapparat Selbstzweck geworden ist, Mittel und Möglichkeit, auf den gebeugten Rücken der Untertanen herumzutrampeln, eine Pensionsanstalt für geistig Minderbemittelte. Wir alle Fünf unterscheiden wohl zwischen jenem alten Preußen, wo – neben den fürchterlichsten Fehlern – wenigstens noch die Tugenden dieser Fehler vorhanden waren: unbeirrbare Tüchtigkeit, Unbestechlichkeit, catonische Strenge und puritanische Einfachheit. Aber es hat sich gerächt, dass man all das nur als Eigenschaften der Herrscherkaste züchtete und den ›gemeinen Mann‹ mit verlogenen Schullesebüchern und Zeichnungslisten für Kriegsanleihen abspeiste. So sieht kein Mensch einen Hund an wie die regierenden Preußen ihre eignen Landsleute, von deren Steuern und Abgaben sie sich nährten. Und wir hassen jenes Deutschland, das solche Bürger hervorgebracht hat: flaue Kaufleute, gegen die gehalten die alten Achtundvierziger Himmelsstürmer waren – satte Dickbäuche, denen das Geschäft über alles ging, und die hoch geschmeichelt waren, wenn sie an ihrem Laden das Hoflieferantenschild anheften durften. Sie grüßten noch die leere Hofkarosse und betrachteten ehrfurchtsvoll den Mist der kaiserlichen Pferde. Spalierbildner ihres obersten Kommis.
Wir alle Fünf lieben die Demokratie. Eine, wo der Mann zu sagen hat, der Freie und der Verantwortungsbewußte. Eine, wo die Menschen nicht ›gleich‹ sind wie die abgestempelten Nummern einer preußischen Kompanie, jener Inkarnation eines Zuchthausstaates – sondern eine, wo zwischen einem Bankpräsidenten und seinem Portier kein Kastenunterschied mehr besteht, sondern nur ein ökonomischer und einer in der äußern Beschäftigung. Ob sie miteinander Tee trinken, ist eine andre Sache. Daß es aber alles beides Menschen sind, steht für uns fest.
Jenes Deutschland wollen wir zerstören, bis kein Achselstück mehr davon übrig ist. Dieses wollen wir aufbauen, wir alle Fünf.
Und ob das Blatt für die Idioten der Reichshauptstadt und seine geistesverwandte Wulle- und Mudicke-Presse lügt, hetzt oder tadelt: – wir gehören zusammen, wir alle Fünf, und werden sie auf die hohlen Köpfe hauen, dass es schallt, und dass die braven Bürger denken, die kaiserliche Wache ziehe noch einmal auf und der Gardekürassier schlage noch einmal die alte Kesselpauke.
Wir sind fünf Finger an einer Hand. Und werden auch weiterhin zupacken, wenns not tut.