Michael Helm

Kaspars Gedankengang III

vom 28. September 2021

… zurück zu dem Gedanken an Klara und die Sonne. Zurück zu Dave. Beide Bücher spielen mit Vorstellungen des Zukünftigen. Doch schreibt Ishiguro in Klara und die Sonne keinen Science Fiction. Das hatte er auch in Alles, was wir geben mussten schon nicht getan, selbst wenn er utopistische Sujets verwendet … 

… Klara ist eine Roboterin – überhaupt sind die Figuren fast ausschließlich weiblich. Da ist die Mangagerin, die Klara verkaufen will. Klara steht mit den anderen Robotermodellen im Geschäft, wenn alles gut läuft, wird sie gar im Schaufenster feilgeboten. Klara freut sich, die Sonne erreicht sie dort mit ihrer „lebensspenden“ Kraft besonders. Klaras Energiehaushalt wird über Solarzellen gespeist. Was hier banal klingt, entfaltet Ishiguro zu einer ungeahnten Idee im Buch … Ein Highlight des Romans …

… Klara freut sich, im Schaufenster zu stehen? Ja, sie freut sich. Sie beobachtet die Menschen auf der Straße, ist enttäuscht, … vielleicht sogar ein bisschen verärgert über die Maschine auf der Straße, die den Blick zur Sonne mit ihren Abgasen trübt … Eine Roboterin, die fühlt? … Klara soll wie alle anderen Modelle eine Begleiterin für Jungendliche sein, besonders ein emotionaler Halt auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Dafür ist sie geschaffen worden … Ishiguro schafft keine intellektuell übermenschlich begabten Roboter, er schafft empfindungsfähige Kreaturen. Eine davon, Klara, erzählt uns ihre Geschichte. Und sie ist eine einzigartige Erzählerin in der Weltliteratur … Sie ist noch unerfahren, beobachtet den Menschen … und sie ist eine scharfe Beobachterin … macht sich ihre Gedanken … ihre Erfahrungen … lernt … ist mitfühlend … Ishiguro findet für sie einen Ton, der die gesamte Geschichte prägt … Klaras Sicht der Dinge … Ishiguro beschreibt einen zutiefst menschlichen Charakter, den wir uns nicht mehr als Maschine vorstellen können …

… ich assoziiere sofort den Weltklassiker von Mary Wollstonecraft Shelley, in dem die Verantwortung des menschlichen Schöpfers für sein „Geschöpf“ in den Blick genommen wird … Untertitel: Der moderne Prometheus.

… Ishiguro redet nicht von der Technik, den technischen Möglichkeiten. Solche Details sind ihm unwichtig. Er denkt sich und uns in eine Welt, die sich (technisch) verändert hat, in der seine Figuren, Menschen und menschliche Maschinen existieren müssen … und wie sie es tun … er fragt nach der Individualität und den „menschlichen“ Beziehungen untereinander …

… Wie anders ist Dave. Raphaela Edelbauer schreibt einen hochwertigen Science Fiction … Es wird eine andere Zeit erdacht, bis hinein in die computertechnischen Details und Herausforderungen, wie sie uns drohen könnte … gut recherchiert, sofern ich das beurteilen kann, ich bin kein it-Spezialist …

… Dave soll die erste Künstliche Intelligenz sein, die mit Höchstleistung an Rechnerkapazität ausgestattet, ein menschliches Bewusstsein bekommen soll … Wie bei Klara, soll die Maschine mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet werden, um den Menschen letztlich zu übertreffen. Nicht nur Syz, den Erzähler und Protagonisten, überkommen da im Laufe der Geschichte Zweifel … den haben die Leser*innen gleich auf den ersten Seiten, auf denen es zum Totalausfall des genialen Rechners zu kommen droht … 

Spannend geschrieben, gespannt harre ich auf Weiteres …

Kaspar Hauser

Kaspars Gedankengang II

vom 21. September 2021

… Gedanken kommen mir in die Quere. Gestern in einer literarischen Mußestunde Jon Fosse gelesen. Kleinere Szenen fürs Theater und Prosastücke aus dem Buch, das mein Buchhändler für mich aufgestöbert hatte …

Jon Fosse – Kindheitsszenen
mit Holzschnitten von Olav Christopher Jenssen
übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel
Kurzprosa, Kleinheinrich, 2019, S. 182
isbn/ean: 9783945237267

… seit Jahren lese ich alles von Fosse, was Hinrich Schmidt-Henkel ins Deutsche überträgt. Fosse ist einer der Autoren, die mich nachhaltig beeinflusst haben. Eine ruhige und klare Sprache, wie er sie selbst nennt. In den Theaterstücken ist die Pause und die Sprachlosigkeit tragendes Element, in der Prosa sind Pausen ungleich schwieriger einzusetzen. Gedanken kreisen, wiederholen sich, sind aber dennoch nie gleich, weil sie sich im Vergehen der Zeit – und sei die Spanne noch so kurz – verändern … Fosses Sprache wird für mich zu einem Sog, getragen von der Musikalität, die er mit den wenigsten, einfachsten Worten zu erzeugen versteht … wie sich Menschen versuchen näher zu kommen, stumm werden, trotz der Worte, die sie füreinander haben … 

… die Kindheitsszenen sind wunderbar, ich lese hier eine, dort eine, schaue die Holzschnitte von Jenssen an … Pause … schlage das Buch wieder auf, lese weiter … Asle hat noch nie ein Buch gelesen und entdeckt die Sprache für sich; Jon Fosse benötigt dafür sieben Zeilen … Großmutter liegt in einem Bett, sie kann nicht mehr reden, der Erzähler versucht, ihr nahe zu sein, er fragt sie … und sie versucht, zu antworten, versucht, ihre Lippen eine Antwort formen zu lassen … dann muss ich das Buch für einen kleinen Moment schließen … es wirken lassen … pausieren … ein alter Mann hört den jungen Asle bei der Bandprobe im Jugendfreizeitheim spielen, sie finden nur beiläufig Worte für die Musik und verstehen sich am Ende doch … hier gelingt Kommunikation über die Musik, tatsächliche oder in der Sprache angelegte …

… ein Leseerlebnis, dank meines Buchhändlers. Das hätte ich nie online aufgestöbert. Eine Verbeugung vor dem kleinen Buchladen mit Sachverstand, Kundenkenntnis und Beratung … schön, dass es euch gibt …

Kaspar Hauser

Kaspars Gedankengang I

vom 14. September 2021

… Gedankenstrom, wann der anfing weiß ich nicht … wann man anfing zu lesen kann man vielleicht sagen // da muss der Satz schon abbrechen, weil ich mich selber der Lüge bezichtigen muss: In der Schule habe ich zwar angefangen zu lesen, aber wann war der Punkt erreicht, von dem an ich wirklich las? … Ich will sagen, wann begann ich über das Gelesene nachzudenken? das nachzudenken, was andere darüber dachten? wann kam Eigenes hinzu? war es eigen oder war es gehört und nur nicht mehr gewusst, wo? … Wie bin ich in dem Gedankengang an den Punkt gekommen … zum jetzt, zum hier … und zu den beiden in diesem Jahr erschienen Büchern, die mir im Augenblick nicht aus dem Kopf wollen …

Kazuo Ishiguro – Klara und die Sonne
Roman, Blessing, 2021, 352 S.
isbn/ean: 9783896676931

Edelbauer, Raphaela – Dave
Roman, Klett-Cotta, 2021, 432 S.
isbn/ean: 9783608964738

Ich weiß es nicht. Normalerweise lese ich innerhalb eines Kontextes: Bücher eines Autoren, einer Autorin … ich versenke mich gerne längere Zeit in den Kosmos eines Menschen – hier nicht. Vielleicht war es Ishiguro? Vieles habe ich von ihm gelesen, bevor er höchstdekoriert mit dem Nobelpreis wurde. Wartete und wartete auf Neues … endlich! Sofort gekauft, sofort gelesen. Die Blisterung war kaum runter, da war ich durch und ich dachte: Schreib etwas darüber. Der nächste Gedanke. Alles, was du darüber schreibst, nimmt der nächsten Leser*in die Freude, es selbst zu entdecken. Das gilt für fast alle Bücher, aber hier doch besonders. Immer wieder war ich neugierig, was Ishiguro aus dem machen würde, was er mir bereits erzählt hatte … einen Science Fiction … Utopie, Dystopie … Gesellschaftskritik … Fortschrittsbedenken … (Alles zu kurz gegriffen, oder?) … Legte es fort auf mein Lesepult. Daneben lag Dave. Ich dachte noch über Ishiguro nach und fand Dave …

… zwei Bücher, die unterschiedlicher kaum sein könnten, finden in meinem Kopf zueinander. Das Thema scheint ähnlich, ja. Aber wie gehen die beiden da ran? Cliffhanger. Wortstrompause …

Kaspar Hauser

Open Air in Herford

vom 09. August 2021

Am Donnerstag geht’s endlich wieder los:

Hemingway Waits – Used Songs & Stories
Musikalische Lesung mit Michael Helm & Stefan Kallmer (Musik)
Stadtbibliothek Herford | 19 Uhr | Im Hinterhof | Link

Lesungen erwachen aus dem Dornröschenschlaf …

vom 24. Juni 2021

Die Webseite erwacht aus ihrem Dornröschenschlaf!
Der Schlaf war zu lang und ich hoffe, nicht wieder einzunicken. Aber es besteht immerhin die Hoffnung …

In Planung sind zwei Open-Air-Lesungen mit Musik in Herford und Spenge. Geplant sind die Herbstlesungen in der Stadtbücherei Spenge. Geplant sind die Matineen in der Stadtbibliothek in Herford. Auch in Herdecke wird gesprochen und geplant.

Hurra! Die Kultur wird wieder wachgeküsst!

mh

Nacht der Bibliotheken

vom 19. März 2021

Heute ist die „Nacht der Bibliotheken“, auch in Spenge. Ich hätte dort heute Abend Kurt Tucholsky gelesen. In C-Zeiten natürlich nicht live.

Dabei hatte ich im Dezember noch gehofft: Im März könnte doch wieder etwas gehen, vielleicht im kleinen Rahmen, vielleicht mit wenig Publikum, hinter Masken und Plexiglaswänden, oder doch ohne Gäste? Jetzt findet die Lesung auch ohne Rezitator statt. Der sitzt, wie Sie, zu Hause und liest sich selbst etwas vor.

Dafür hat die fb-Seite der „Stadt Spenge – Kultur und Stadtmarketing“ einen kleinen Auszug, einen Tucholsky-Schnipsel von mir online gestellt. (Danke dafür an Spenge und die Bücherei.)

Das Thema der Nacht der Bibliotheken ist „Einmischen“. Und Tucholsky hat sich eingemischt und würde es auch heute noch tun. Aber dazu dann später wieder mehr … live, ohne Virus, mit Publikum und Live-Einmischung meinerseits.

Wenn ich körperlich auch nicht anwesend sein werde, geistig bin ich bei Ihnen, ohne den Mut und die Hoffnung aufzugeben. Es kommen bessere Tage.

Einen herzlichen Gruß,
Ihr Michael Helm

Brache

vom 22. Januar 2021

Freitags auf dem Block

brachliegendes land
industriebrache industriekultur museum

sitze seit monaten allein
im museum meiner literatur 
literaturbrache 
sprache bis auf weiteres geschlossen

mh

Schweigen

vom 01. Januar 2021

Keine Lesungen. Bis wann?
Fragen Sie diese Website und bleiben Sie in der Warteschleife …

Auf der Suche

vom 30. Oktober 2020

Freitags auf dem Block

Als Schüler wusste ich, ein gutes Buch würde ich im Regal einer guten Buchhandlung finden. 

Dann lernte ich, dass ein gutes Buch aus wirtschaftlichen Gründen nicht im Regal der Buchhandlung stehen könne, dass es aber innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden bestellbar sei. Super.

Später lernte ich dann die Verlagsbestellung guter Bücher kennen, auf die ich ein bis zwei Wochen warten müsse.

Heute finde ich ein gutes Buch im Verzeichnis der Antiquariate; mit der Hilfe digitaler Technik ist es nicht schwierig, es zu finden. 

Wo werden ich ein gutes Buch morgen aufstöbern? Vielleicht in einem zerschlissenen Regal meines längst leerstehenden Hauses? 

mh

Absagen & Verschiebungen

vom 28. Oktober 2020

Die steigenden Infektionszahlen machen es wieder unmöglich.

Stadtbüberei Spenge
Die Lesung zu Milena Jesenská wird auf den 02.10.2021 verschoben. Wir hoffen, uns dann wieder unter anderen Bedingungen in Spenge sehen zu können. Ansonsten steht das Programm für 2021 dort. Zumindest was wir planen in Frühjahr und Herbst, wird hier in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.

Buchhandlung Herdecke
Die Mark Twain-Lesung entfällt vorerst. Wir bemühen uns, die Veranstaltung nachzuholen, sollte sich die Lage wieder bessern – wann auch immer – wie auch immer – wo auch immer.

In den nächsten Tagen erhalten Sie weitere Infos zu den Lesungen, die noch ausstehen in diesem Jahr. Mein Optimismus hält sich allerdings in Grenzen.

Bleiben Sie daher geduldig und vor allem gesund!
Ihr Michael Helm