Michael Helm

Heute ist der Todestag Heinrich Heines

vom 17. Februar 2020

Am 17. Februar 1856 ist Heinrich Heine in Paris gestorben. Auf dem Friedhof Montmartre liegt er begraben. Es war die Stadt seines Exils, seine zweite Heimat, nachdem seine Schriften in Preußen verboten worden waren.

Matinee mit Michael Helm
„Alles dreht sich hier im Kreise“ – Heines munter-quirliges Paris
Stadtbibliothek Herford | 10.05.20 | 11 Uhr | Infos

In Paris verbrachte er auch die letzten acht leidvollen Jahre vor seinem Tod. Gefesselt an die Matratzengruft, wie er sein Krankenlager selbst beschrieb, unfähig sich zu bewegen, teilweise gelähmt. Dennoch stammen viele seiner bedeutenden Gedichte aus dieser Zeit und wurden im Romanzero, einem späten Gedichtband veröffentlicht.

Zum Lazarus
von Heinrich Heine

Laß die heilgen Parabolen,
Laß die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.

Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Roß der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler –
Aber ist das eine Antwort?

(Gedichte 1853 und 1854)

Winteridyll

vom 14. Februar 2020

Eine fotografische Biografie

Hin- und hergerissen zwischen alten, besseren Tagen und Ergebniskolonnen der Messstationen: Aufblitzen von Nullen und Einsen. Worte. Zahlen. Zahlen Worte. Wandel. Wandeln Zahlen. Zahlenwandel. Wandelnde Worte. Wortende Wandel. Wortwandel. Meinung. Wandelmeinung. Meinung wandelt. Meinungsworte. Meine Worte. Zahlenworte. Meine Meinung. Meinungszahlen.
Ein scheuer Blick nach draußen. Nur Erinnerung dort.

Michael Helm

Blick in ferne Zukunft

vom 07. Februar 2020

In der letzten Woche gab es an dieser Stelle ein Gedicht von Kurt Tucholsky: „Augen in der Großstadt“. Heute ein Prosastück des Weimarer Journalisten, Schriftstellers und Kritikers. „Blick in ferne Zukunft“ erschien in „Die Weltbühne“ am 28.10.1930 unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel. Der Text hat bis heute nicht an Brisanz verloren. Er endet mit den drei wichtigsten Pünktchen der Literatur.

Ignaz Wrobel (Kurt Tucholsky) | Ein Blick in ferne Zukunft | gelesen von Michael Helm

Den Text können Sie hier nachlesen Link.

Hörschnipsel

vom 05. Februar 2020

Hier vorab ein Hörschnipsel der Probe für die Heine-Lesung morgen in der Buchhandlung Herdecke.

Heinrich Heine | Memoiren (Auszug) | gelesen von Michael Helm

Heinrich Heine – Ein Dichter mit Ecken und Kanten
06.02.2020 | Buchhandlung Herdecke | 19.30 Uhr | ausverkauft

Ein Gedicht …

vom 31. Januar 2020

Kurt Tucholsky veröffentlichte das folgende Gedicht 1930 unter dem Pseudonym Theobald Tiger in der „Arbeiter Illustrierte Zeitung“. Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren und starb 1935 in Göteborg im Exil. Er war die warnende Stimme der Weimarer Republik; ein hellsichtiger Geist, der in seinen Veröffentlichungen benannte, was auf Deutschland in den Dreißigern zukam. 

Augen in der Großstadt
von Theobald Tiger

Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? vielleicht dein Lebensglück …
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang,
die dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hasts gefunden,
nur für Sekunden …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück …
Vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
und zieht vorüber …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.

Denkmal

vom 24. Januar 2020

Ich wunderte mich, den Mann hier zu treffen. Er saß auf einer Bank und starrte über die Straße hinüber zum Bolschoi-Theater. Ich erkannte ihn an seinem rauschenden Bart. Meines Wissens hatte er die Stadt nie besucht. Ich grüßte und setzte mich neben ihn. Er war sichtlich erfreut, einen Landsmann zu sprechen. Ich fragte ihn nach seinem sonderbaren Hiersein und er lächelte bescheiden. Hier erkennt mich niemand, sagte er. Selbst wenn ich täglich unter diesem Denkmal Platz nehme. Er wies nach oben, auf sein ebengebildetes Monumentalgesicht. Schlecht getroffen, finden Sie nicht, flüsterte er. Wir schauten hinüber zum Theater, wo Menschen in sündhaften Kleidern und teuren Anzügen Selfis machten. Er betrachtete das alles eher gleichgültig. Sie beschäftigen sich nur noch mit sich selbst, sagte ich, seinem Blick folgend und wartete auf seinen bedeutenden Kommentar. Doch er schwieg. Um uns herum gingen die Lichter an und wir verbrachten eine angenehme Stunde auf der Bank. Wir schwiegen. Dann erhob er sich langsam und sagte: Danke schön. Ich muss los. Es war aber schön, einmal wieder mit einem Menschen zu schweigen, der meine Sprache spricht. Er zwinkerte mir zu. Aus Altersgründen konnte er nicht mehr richtig gehen. Also sah ich Karl Marx langsam die stark befahrene Straße hinunterhumpeln. 

Michael Helm

Denkmal | Michael Helm | gelesen vom Autor

Bücher Erleuchtung

vom 17. Januar 2020

Es gibt nicht so viele zeitgenössische Autoren und Autorinnen, von denen ich nahezu alles gelesen habe. Dazu bedarf es bei einem solch immensen Bücherpensum schon einer Spur Verrücktheit. Kommt von Peter Stamm ein neues Buch heraus, egal ob Roman, Erzählband oder anderes, dann schiebe ich allerdings alles andere zur Seite. Muss ich mich jetzt einen Fan nennen? Ich erschrecke beim Schreiben. 

Reise ich dem Mann tatsächlich von Lesung zu Lesung hinterher? Stehe ich regelmäßig in der Schlange zum Signieren, um einen persönlichen Blick zu erhaschen? Besitze ich jede Ausgabe, aber auch wirklich jede! — auch wenn ich eine ältere bereits mein Eigen, meinen Schatz nenne? Fehlte noch, dass ich Briefe an ihn schriebe. 

So schlimm ist es noch nicht, obwohl manche Allüre im Buchgeschäft Anlass für solche Gedanken gäbe. Alles ist Event und da muss man sich schon fragen, warum hunderte Lesebesessene zum Beispiel bei Buchmessen in der Schlange vor dem geheiligten Autor oder der Autorin stehen — und der Verlag zwecks Versüßung der Wartezeit schon Kaffee und Kekse zu reichen beginnt — damit man diesen einen geschwungenen, aber unleserlichen Schnörkel ergattert, der das Buch im Regal zur Erleuchtung bringt. Ich bin kein außergewöhnlicher Mensch, weil ich mich vor solchen Signierschlangen in Acht nehme. Es ist auch noch niemand durch sie zu Schaden gekommen, muss ich zugeben. Sie beißen ja nicht. Doch erstaunt es mich schon. 

Die Lektüre erfährt durch die Signierung keine Aufwertung. Meine Begeisterung für Peter Stamms Bücher ist auch ohne seinen Namenszug ungebrochen. Bei einer Lesung eines anderen, hier ungenannten Autoren, den ich vorher sehr schätzte, der mir jedoch äußerst unsympathisch bei der Lesung erschien, erwischte ich mich bei der Frage, welche Auswirkungen das auf meine zukünftige Lektüre seiner Bücher hätte. Ich zwinge mich bis heute, seine Werke zu lesen und sie zu genießen. Absurd.

Übrigens, ein geschätzter Kollege, eigentlich frei von jeglichem Literaturdünkel, erzählte mir von der berühmten Lesung der Olga Tokarczuk in Bielefeld, nach der Bekanntgabe des Literaturnobelpreises am gleichen Tag. Vorher hatten sich kaum Leute für die Veranstaltung interessiert. Nach der Bekanntgabe, die vortragende Autorin werde den Preis bekommen, wäre die Lesung zigmal ausverkauft gewesen, wäre das nur möglich gewesen. Ein Wandel der Wertschätzung innerhalb weniger Stunden? Der geschätzte Kollege sprach von diesem Bielefelder Kulturereignis, als hätte Moses ihm persönlich die Gesetzestafeln vor Ort überreicht. Zugegeben, der Vergleich hinkt, denn bei Moses hat es schließlich nicht zum Literaturnobelpreis gereicht. 

Man kann sich nie ganz freimachen von solchen Markteinflüssen. Neulich habe ich ein antiquarisches Exemplar von Vladimir Sorokin erstanden. Es war ein signiertes Exemplar von 23000 und sündhaft teuer. Die Unterschrift Sorokins in Form eines steil aufsteigenden Strichs hätte ich sicherlich selber hinbekommen, nur den Inhalt des Buches leider nicht. Und zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, es gab überhaupt nur noch dieses Exemplar zu erwerben. War ein „Strich“ drin, aber gut … es erleuchtet nun auch mein Regal und ich spare erhebliche Kosten für die elektrische Beleuchtung. Signierte Bücher — ab einer bestimmen Anzahl in der Bibliothek — tragen zur CO2-neutraleren Lektüre bei. Sie strahlen, ohne an das örtliche Stromnetz angeschlossen zu sein.

So hat es sein Gutes und auch ich gönne mir ab und an die Signierung eines geliebten Bandes oder die besonders schön gebundene Ausgabe des Romans, den ich längst schon kenne. Man lebt ja schließlich zwischen seinen Büchern.

Michael Helm

Pragmatische Antworten

vom 10. Januar 2020

Die Verlegerin und Autorin Franziska Röchter hat mich im Interview für den Blog auf Das Gedicht gefragt, was mich an Annette von Droste-Hülshoff fasziniert. Wie alle Fragen, die man in Interviews beantworten soll, ist das eine, auf die ich zwei Arten von Antworten weiß. 

Interview von Franziska Röchter im Online-Forum der Zeitung Das Gedicht. Link

Die erste Art zu antworten, ist reiner Pragmatismus. Man kennt und schätzt die Werke seit Jahren. Sie sind einem vertraut. Programme anderer Rezitatoren hat man gehört. Man war an den Orten ihres Lebens in Münster, auf Schloss Hülshoff und im Rüschhaus, auch am Bodensee auf der Meersburg. Die andere Art zu antworten ist kompliziert. Ich versuche dann zu sagen, was schlecht in Worte zu fassen ist. Am liebsten würde ich dann nur antworten: „Kommen Sie auf die Droste-Lesung. Da hören Sie doch alles zwischen den Zeilen.“ Aber das ist natürlich keine zufriedenstellende Antwort. 

Annette von Droste-Hülshoff lese ich so lange schon, wie den anderen großen Nordrhein-Westfalen, Heinrich Heine. Hat räumliche Nähe etwas mit Vorliebe zu tun, zumal bei Menschen, die in einem anderen Jahrhundert hier gelebt haben?

Pragmatische Antwort: Räumliche Nähe zieht, wenn es um die Ankündigung einer Lesung geht. Sehr pragmatisch, oder?

Das Münsterland zur Droste-Zeit ist mir nicht vertrauter, als einem Berliner, der noch nie hier war. Dennoch stehe ich auf der Meersburg im Droste-Zimmer im Turm und schaue über den Bodensee und über die Alpen und glaube etwas zu verstehen. Vielleicht geht die Fantasie mit mir durch und ich sehe nur, was ich sehen möchte? Der Ort scheint plastisch zu machen, was in Biografien steht. Das möchte ich gerne denken. Zweifel bleiben. Es sind meine Vorstellungen, die prägend dafür werden, wie ich ein Gedicht lese, das die Dichterin hier geschrieben hat.

Lese ich Mondesaufgang bei Lesungen, dann denke ich an die Meersburg. Ich kann gar nicht anders. Dann ist das Gedicht ausgesprochen und im Raum bleibt diese Stille. Das geht mir gerade bei Gedichten der Droste-Hülshoff so. Die Stille bleibt, das Gedicht bleibt und irgendetwas ist passiert. Ich will gar nicht erst fragen, was. Es sind diese Momente bei Lesungen, die mich berühren … Es sind tolle Momente. Am liebsten würde ich gar nicht weiterlesen, einfach nur aushalten, der Stille dieser Lyrik nachspüren …

Im Radio käme längst schon wieder irgend etwas, geschweige denn in anderen Medien. Das permanente Gebrabbel eben. 

Übrigens wurde Annette von Droste-Hülshoff am 10. Januar 1797 geboren. Spielt das eine Rolle?

Pragmatische Antwort: Geburtstage und Jubiläen ziehen bei der Ankündigung einer Veranstaltung. Und beim Schreiben einer Block-Notiz, wie dieser hier. Sehr pragmatisch, oder?

Michael Helm

Kafka und der Bibliothekar

vom 06. Januar 2020

Als ich eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich in meinem Bett zu einer ungeheueren Leseratte verwandelt? So klingt es oft, wenn „wichtige“ Menschen von ihrer frühen Literaturberufung sprechen. Da haben bedeutende Persönlichkeiten Kafka mit zehn, Camus mit zwölf und den Ulysses mit vierzehn Jahren gelesen. Da erbleicht jeder Leser in ehrfürchtiger Bewunderung. Ich möchte mich dieser literarischen Früherweckung auch gerne rühmen. Leider hat die Sache mit Kafka in meinem Leben einen sehr prosaischen Haken. 

Es gab in meiner Kindheit zwei Menschen, die mein Leben beeinflusst haben: Kafka und mein Bibliothekar. Beide sind längst gestorben. Aber was hatten die in meinem jungen Dasein zu schaffen, das sich weder um Kafka noch um Bücher scherte? Der eine hat im Kinderregal gar nichts verloren und der andere schlich sich einfach durch die Hintertür meines jugendlichen Alltags. Mein gänzlich unpoetischer Alltag lag zwischen verhassten Diktaten über einen gewissen Detektiv McScharfsinn, der seine dämlichen Fälle im Schulbuch löste und den Raumschifffantasien eines Jungen, die in keinem Deutschaufsatz gut ankamen. »Das ist Schund!«, hatte meine Lehrerin wohl angenommen und ich bekam es verblümt um die Ohren gehauen. Zumal ich dämlich wieder einmal ziemlich dähmlich geschrieben hatte. 

Es war zu der Zeit, als alle für mich die so existenzielle Frage zu klären suchten: Warum liest der Junge nicht! Meine Eltern hatten es aufgegeben. Meine Lehrerin beharrte: »Wenn der nicht endlich liest, dann bekommt er nie eine gute Note!« Mir war Lesen zu anstrengend und langweilig obendrein! Ratlos vertraute man mich also einem Freund an, einer längst verwandelten Leseratte. Der verschleppte mich in eine Bibliothek, eher eine Minibibliothek. Aber Leseratten hausen bekanntlich in schummrigen Löchern. Und dort harrte meiner – ohne dass ich etwas Böses getan hätte – jener Bibliothekar, der keinen Tag ohne Kafka zu Bett ging. 

Kafka und der Bibliothekar, gesprochen von Michael Helm

Er thronte zwischen all seinen Büchern. Er war der Herr der Bücher. Ziemlich dick, eine imposante, altväterliche Gestalt, die ins Regal griff wo und wann sie es wollte. Und er drückte mir lachend das Zeug in die Hand, das Kinder damals so lasen. Das war die Zeit bevor wir später alle auf der Leinwand nach Hogwarts und nach Mordor gezogen sind. Die ??? hieß das, Geheimnis um… oder Die fünf Freunde. Ein Buch war so geschrieben wie das andere. Trotzdem war´s irgendwie spannend. Außerdem gab es hier Raumschiffe. Es gab fremde Welten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hatte. Wenn ich begeistert erzählte, lächelte mir der Bibliothekar zu und erzählte seinerseits von Büchern, die er kannte. Das waren unendliche Welten. 

So kamen einige Kinder, die ihn wöchentlich an seinem Ausleihtisch der Bücherei umschwärmten. Es war ein Ritual geworden an einem Ort, der Schutz bot vor Aufsätzen und McScharfsinnigkeiten. Und dähmlich waren die Geschichten überhaupt nicht mehr. Nur hatte ich das alles nicht gemerkt. 

Eines Tages redeten wir dann mit dem netten Bibliothekar nicht mehr bloß über Die ???. Plötzlich waren da seltsame Geschichten eines gewissen Karl Mays und eines Erich Kästners. Einer nannte sich Ernest Hemingway, der war Amerikaner und hat mich unglaublich beeindruckt. Es war die Story eines alten Kerls, der tagelang im kleinen Fischerboot auf dem Meer gegen das Wetter, gegen die Einsamkeit und die Haie ankämpfte. Solche Bücher lagen da rum. Der Bibliothekar ließ sie einfach für uns herumliegen. Chaos war sein hintersinniges Prinzip. Denn zwischen den vielen Büchern lag eines schönen Tages Franz Kafka. 

»Kenne ich nicht.« – »Lies mal.« – »Mmh, mal schauen.« 

Die ersten Seiten habe ich geschafft. Da wurde einer verhaftet und wusste nicht warum? Man verhörte ihn und ließ ihn dann wieder laufen? Ich verstand´s nicht und legte es weg. Der Bibliothekar lächelte. Ich kam wieder. Ich habe es über die Jahre immer wieder angefangen. Heine lag dort rum und E. A. Poe. Wir redeten. Über dieses, über jenes. Und der Bibliothekar lächelte. Aber wir lasen und lasen und diskutierten freudig mit dem alten Herrn über unsere neuen und unsere alten Helden. So ganz nebenbei.

Später haben wir ihm bei der Ausleihe geholfen, beim Organisieren der Bibliothek, sogar beim Einkauf. Die neuen ??? – natürlich – aber für die Jüngeren! Die Kafkawerksausgabe durfte ich anschaffen. Der Bibliothekar hatte sie längst zu Hause. »Ich gehe nie ohne meinen Kafka zu Bett,« sagte er mir schmunzelnd. Wir redeten also über Kafka. Und ich würde noch heute gerne mit ihm darüber reden. 

Es gibt sehr alte und versteckte Gründe dafür, warum wir etwas tun. Warum ich in jeder Stadt in die ich komme, Bibliotheken und Buchhandlungen suche? Warum ich mich bei Lesungen besonders in kleinen Büchereien wohlfühle? Warum Jungs bei mir in Projekten wie Orks brüllen dürfen, wie Gollum sabbern oder wie Bilbo Abenteuer bestehen? Ich denke, ich möchte einfach gerne wie dieser Bibliothekar sein. Da sein für Jungen, wie auch ich einer gewesen bin. Und dann vielleicht mal ein Buch von Ernest Hemingway oder Kafka rumliegen lassen. Wenn das obendrein Spaß macht, um so besser. 

Michael Helm

Lesung in Petershagen

vom 19. Oktober 2019

Foto: Sabine Wiek

12.10.19. Lesung. Danke an ein tolles Publikum, 50 Leute haben den Herforder AutorInnen zugehört und es war ein toller Abend. Danke an den wunderbaren Veranstalter Mehdi, danke an die tollen Mitstreiter. Danke an Sabine Wiek für die Fotos.

Foto: Sabine Wiek

mh