Michael Helm

Wortschatzreduzierung in C-Zeiten

vom 01. April 2020

Aufgelesenes VI

Gestern schrieb mir eine langjährige Zuhörerin: „Reden Sie jetzt nur noch mit Vögeln?“ 

Sie hatte aufmerksam meine letzten Beiträge Aufgelesen und das literarische Leitmotiv chirurgisch offengelegt, um nicht zu sagen seziert. (Neuere Zuschriften werden sich nun sicherlich mit medizinischen Vokabeln in C-Zeiten auf meinem Block befassen!) 

Mir war das mit den Buchfinken und Waldlaubsängern ja auch schon aufgefallen, von sprechenden Gänsen ganz zu schweigen. Doch meine Wortschatzreduzierung in C-Zeiten ist ein offensichtliches Problem. 

Ich sitze den ganzen Tag zu Hause. Den Supermarkt darf ich nicht besuchen. Mit meinem Buchhändler darf ich nicht über Neuerscheinungen (und Kafka) quatschen. Nicht einmal die Bibliothekarin meines Vertrauens darf ich besuchen, also gibt es von ihr auch keine Nicht-Buchempfehlungen die stinken mehr. (Siehe Blockeintrag vom 13.06.2016 oder akustisch in der Hörbar.) Live-Lesungen darf ich erst recht nicht mehr geben. 

Ich komme zunehmend aus der Übung. Das Sprechen beginnt mir schwerzufallen. Ich bin mundtot. 

Und wenn ich das Haus verlassen darf, um meinen täglich Spaziergang zu verrichten — ich führe immer das Rezept meiner Hausärztin „Patient muss an die frische Luft“ mit — dann reduziert sich mein Vokabular auf das seltene „Morgeen“ oder „Tach auch“. Immer aus gebotener Entfernung, versteht sich, aus Rufweite herübergejodelt sozusagen.

Und da ich unverkennbar im Ruhrpott lebe, kann ich zwar mittlerweile durch ausgedehnte Wälder spazieren (bei deutlich besserer Luft in C-Zeiten), aber das Vokabular ist eigentlich mit einem einzigen Wort in diesen Tagen deutlich umrissen: „Maaahlzeit!“

Bleibt mir nur noch das Tirilieren mit den geflügelten Genossen. Bei so wenig menschensprachlicher Anwendungspraxis nutzt doch alles Lesen der Welt nichts mehr.

Seien Sie also abschließend gegrüßt mit einem hoffnungsfrohen „Tschilp“.

mh

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