In Weimar fühle ich mich immer wie zu Hause. Weimar ist für mich kulturelle Erholung. Spaziergänge an der Ilm, Anregungen in den Geschichts- und Dichtermuseen, Pausen in den Kaffees. Berlin ist aufregend, hinter jeder Straßenkreuzung eine neue Erfahrung, ein neuer Gedanke, ein neues Bild. Theater, Kunstmuseen, Straßenevents. Menschen. Menschen. Menschen. Rheinsberg war eine neue Erfahrung. Abgeschieden, erholsam, aber etwas vom Schuss. Ein Tucholsky-Museum gehört nach Berlin. Der Mann hat mehr geschrieben, als Rheinsberg. Tucholsky hat sich eingemischt in die Angelegenheiten der jungen deutschen Republik, in die Berliner Angelegenheiten. Das geht uns gerade jetzt etwas an. Und Potsdam lebt von seinen Schlössern, auf die ich gern verzichten kann. Ja, ja, Architektur und Kunstgeschichte. Macht mal. Potsdam war für mich Filmabende und Filmmuseum, das Haus der Wannseekonferenz und das Holländische Viertel. Man ist zügig wieder im Theater in Berlin. Ich liebe Städte, aus denen man auch schnell einmal weg, das heißt ganz woanders ist. Nichts ist so schön, als sich wieder etwas Neues anzuschauen oder etwas Altes neu zu entdecken.
Weimar – Ein Reiserückblick
Ich habe in zwei Buchhandlungen in Weimar gestöbert. Das sind kleine Geschäfte, die nicht in jeder Stadt gleich aussehen, in denen man mit kompetenten Menschen über Literatur reden kann. Menschen die unter Literatur nicht nur Krimis verstehen.
In Hoffmann`s Buchhandlung in der Schillerstraße fand ich alles, was das Klassikerherz höher schlagen lässt. Hier waren neben Goethe & Schiller und dem, was man an touristischen Beigaben verkaufen muss, auch die ganzen schönen, neuen Wieland-Veröffentlichungen zu finden. Zum Stöbern geeignet.
Ein tolles handverlesenes Angebot hatte auch die Buchhandlung Eckermann. Hier durfte ich zudem Zuhörer zweier Lesungen sein, die sich gelohnt haben. Auch wenn Autor*innen-Lesungen nicht immer so gut besucht werden, wie wir es uns wünschten, die Stimmung war umso intensiver. Manchmal ist es schon interessant, den Diskussionen anderer zu lauschen. Auf Reisen beobachte ich lieber. Der Verfasser schmunzelt.
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Weimar ist eine kleine Stadt, alles ist zu Fuß zu erreichen. Autos hörte ich selten. An vielen Orten kann man draußen sitzen, essen und trinken. Es ist gemütlich. Abends gab es im Café hinter dem Museum zur Weimarer Republik regelmäßig Lesungen und kleine Konzerte. Open Air Rock hörten wir am Goetheplatz. Am Theaterplatz zu sitzen, am Eis zu schlecken und die Leute zu beobachten, die aus aller Welt herkommen, war mir abendliche Gewohnheit geworden. Es herrschte ein mediterranes Flair.
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Weimar ist eine Stadt die fokussiert. Auf Kunst und Kultur: die vielen Museen zur Weimarer Klassik, Goethehaus, Schillerhaus, Herderkirche, Wielandgut. Auf deutsche Geschichte: das Museum zur Weimarer Republik, die Gedenkstätte Buchenwald auf dem Ettersberg, das Speziallager Nr. 2, das die Sowjetunion bis 1950 weiterführte, als der Krieg schon vorbei war. Die Häuser des ehemaligen Fürstentums, die Anna Amalia-Bibliothek. Auch die Geschichte des Bauhaus ist mit Weimar verknüpft und kann heute dort besichtigt werden. Weimar kann über Tage hinweg solche Anregungen bieten. In Museen kann man sich die Füße müde stehen, aber der Geist kommt dabei nicht zu kurz. Gut, wenn man anschließend in einer der Cafés oder Gasthäuser sitzen kann, um grünen Tee oder Köstritzer zu genießen. Der Verfasser schmunzelt schon wieder.
Weimar – Ein Reiserückblick
Der Park an der Ilm. Wenn es so heiß ist, wie in den letzten Sommern, ist es ein Genuss, hier zu flanieren. Das kleine Gartenhaus Goethes besuche ich immer, auch wenn ich meistens einfach im Garten sitzen bleibe, um zu schauen. Der Blütenpracht, der Anlage, meinen Gedanken nachgehen. Die Skulpturen im Park, die kleine Grotte, die Ilm, das römische Haus, das alles habe ich bereits gesehen, aber das spielt keine Rolle. Es ist wie zu Hause, dort sehe ich vieles auch täglich. Aber ich möchte es hier anschauen, immer wieder anschauen.
Im vergangenen Jahr haben wir am letzten Schultag vor den Ferien in Thüringen die Schüler*innen hier ausgelassen feiern sehen. Es war lebhaft, selbstverständlich, aber es war lebendig, nicht antik.
Weimar – Ein Reiserückblick
Erneuter Besuch der Ausstellung zur Weimarer Republik. Kernthese: Die junge Republik ist nicht an ihren Kinderkrankheiten zugrunde gegangen, sie ist von der extremen Rechten zerstört worden. Dass da Gedanken an unsere Tage wach werden, verwundert nicht. Die Ausstellung am Theaterplatz ist multimedial sehr gut aufbereitet. Ich besuche sie gerne, weil ich mir jedes Mal einen anderen Bereich der Geschichte der Republik herausgreife. Dieses Mal: Film, Kunst & Kultur in der Weimarer Zeit. Es gibt Filmszenen und Hörbeispiele, denen ich mich intensiv gewidmet habe.
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„Der Himmel verhüte, daß ich von irgend einem denkenden Wesen verlange, mit mir überein zu stimmen, wenn er von der Richtigkeit meiner Behauptungen oder Meynungen nicht überzeugt ist; oder daß ich jemahls fähig werde, jemandem meinen Beyfall deßwegen zu versagen, weil er nicht meiner Meynung ist!“
Christoph Martin Wieland Der Neue Teutsche Merkur, Mai 1794, gelesen in der Ausstellung in Oßmannstedt
Wanderung nach Oßmannstedt. Letztes Jahr im Wielandjahr nicht geschafft, dieses Jahr nachgeholt. Die Wanderung an einem Sommertag, an den man sich wohl gewöhnen muss, viel zu heiß. Das Wielandgut ist dennoch mit reichlich Wasser im Tagesrucksack zu Fuß gut zu erreichen und dank Deutschlandticket konnten wir problemlos mit der Bahn zurückfahren. Im Wieland-Gut findet sich eine kleine Ausstellung zum Leben und Werk des Weimarer Klassikers. Darüber hinaus wurde ich im örtlichen Weimarer Buchhandel aufmerksam auf die vielen relativ jungen Veröffentlichungen zu Wieland, inklusive neuer Wielandbiografie von Jan Philipp Reemtsma: „Die Erfindung der modernen deutschen Literatur. Eine Biographie“. Sehr lesenswert, habe ich mir raten lassen. Reemtsma hat auch einige Wieland-Werke neu herausgegeben. „Also“, sagt sich der Reisende freudig, „Wieland lesen!“ Das Gut liegt übrigens landschaftlich sehr schön und das Grab des Klassikers kann man dort auch besuchen, im Schatten und unter Bäumen.
Weimar – Ein Reiserückblick
In den Sommerferien waren wir einmal wieder in Weimar unterwegs. Für mich eine Stadt der Entspannung.
Flanieren im Park an der Ilm, zwischen dem Café am Frauentor, dem Shakespeares, einem netten Restaurant mit schönem Biergarten, und dem wunderbaren Eiscafé am Theaterplatz. Und dann schaue ich mir einfach noch einmal an, was ich schon gesehen habe, vertiefen möchte, wieder entdecken oder neu anschauen. Weimar geht immer.
Hier also in den nächsten Tagen einige Reiseeindrücke im Rückblick.
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Im Café am Frauentor sitze ich gerne, … lange … und mit Genuss. Eines der wenigen Cafés, die ich kenne, wo ich keinen grünen Tee in Beuteln bekomme, grüner Tee nicht im kochenden Wasser serviert wird und ich nicht verblüfft angeschaut werde, wenn ich danach frage. Dort kam der Kellner bereits am zweiten Tag mit einem Lächeln auf mich zu: „Sencha im Kännchen?“ Die wissen dort halt, was mich glücklich macht. Grüner Tee garantiert meine geistige Wachheit. In dem Zustand genieße ich den Blick in Richtung Frauenplan, in Richtung Schillerhaus oder einfach den Blick auf die vorbeischlendernden Menschen. Die Seele baumeln lassen. Der Straßenmusik lauschen. Dafür bin ich in Weimar.
Aus dem Block …
vorbei
ich kann sie drehen und wenden ich finde meine komfortable ansicht der dinge nicht wieder
Jon Fosse – Melancholie
Ende des 19. Jahrhunderts: Der norwegische Maler Lars Hertervig studiert in Düsseldorf Landschaftsmalerei. Er hat sich ein kleines Zimmer gemietet und verliebt sich in Helene, die fünfzehnjährige Tochter seiner Vermieter. Dieses nicht einmal richtig entflammte Verhältnis findet die Ungnade der Familie. Lars soll die Wohnung verlassen. Das Scheitern der Beziehung scheint Lars Hertervig verrückt werden zu lassen.
Was auf der inhaltlichen Ebene einfach erscheinen mag, nimmt sich in Hertervigs Denken anders aus. Denn von Anfang an ist seine Sicht der Dinge „anders“. Gedanke um Gedanke kreist in seinem Kopf, wiederholt sich, ordnet sich scheinbar neu. Niemals kommt sein Denken zu einem Abschluss. Der Geisteszustand Hertervigs grenzt an Verwirrung und seine Gedanken verwirren sich mehr und mehr durch die ihn befremdenden Erlebnisse. Sind seine Gedanken wahnhaft, Verfolgungsfantasien oder der Ausdruck seiner Realität?
Dies lässt Jon Fosse in seinem Roman „Melancholie“ offen. Er betrachtet das Geschehen aus der Sicht Hertervigs. Er versteht es in einer ausgefeilten, dem Denken dieses Menschen entsprechenden, einfachen Sprache, die subjektive Welt Hertervigs darzustellen. Das ist faszinierend und schwer zu lesen zugleich, denn die unendlichen Gedankenketten Hertervigs wälzen sich über etliche Seiten dahin. Wie einprägsam Fosses Sprache ist, stellte ich fest, als ich das Buch fortlegte. Die ewigen Wiederholungen und Wortketten begannen, von meinem Denken Besitz zu ergreifen, wie musikalische Ohrwürmer. Fast suggestiv haben sie sich in den Kopf eingeschlichen und es brauchte Zeit und Ablenkung, um sich wieder aus dieser zirkulären Gedankenwelt Hertervigs zu befreien.
Jon Fosse hat für das Denken eine Sprache geschaffen, in der Existenzielles einen einfachen Ausdruck findet. In dem, was sich zwischen den Gedankenketten auftut, rührt er an der Grenze des Unbewussten.
Mit der Geschichte Lars Hertervigs ist der Roman nicht zu Ende. Zwei weitere Erzählungen setzen an die Hertervig-Geschichte an, die sich wie die folgenden Akte eines Theaterstücks ausmachen. Generationen später werden Personen betrachtet, die mit Hertervig in familiärer Beziehung standen. Auch in diesen Erzählungen ist es der faszinierende Stil Fosses, der einen in seinen Bann zieht.