Michael Helm

Der sumerische Innana Mythos

Jetzt hat sie mich erwischt. Die sumerische Mythenwelt. Erst Gilgamesch, jetzt Inanna. Angeregt durch den aktuellen Roman von Olga Tokarczuk „Anna In“ habe ich in den Antiquariaten gestöbert und bin fündig geworden. „Erzählungen aus dem Land Sumer“ herausgegeben von Konrad Volk. Er ist Professor für Altorientalistik an der Uni Tübingen und Leiter des Instituts für die Kulturen des Alten Orients. In dem Buch sind unterschiedliche Übertragungen verschiedener Autoren zu unterschiedlichen sumerischen Erzählungen von alten Keilschrifttafeln zusammengestellt. Ich habe mich gleich auf Inannas Gang in die Unterwelt gestürzt, übertragen von Hartmut Waetzoldt. Er ist ebenfalls Altorientalist. Die Übertragungen werden gut eingeführt und kommentiert …

Obwohl die sumerische Literatur zur ältesten der Welt gehört, geht für mich von diesen Texten eine enorme Faszination aus, fast etwas meditatives … eine beeindruckende Erzählweise … eine beeindruckende Kultur …

Aus dem Block …

Jon Fosse – Melancholie

Ende des 19. Jahrhunderts: Der norwegische Maler Lars Hertervig studiert in Düsseldorf Landschaftsmalerei. Er hat sich ein kleines Zimmer gemietet und verliebt sich in Helene, die fünfzehnjährige Tochter seiner Vermieter. Dieses nicht einmal richtig entflammte Verhältnis findet die Ungnade der Familie. Lars soll die Wohnung verlassen. Das Scheitern der Beziehung scheint Lars Hertervig verrückt werden zu lassen.

Was auf der inhaltlichen Ebene einfach erscheinen mag, nimmt sich in Hertervigs Denken anders aus. Denn von Anfang an ist seine Sicht der Dinge „anders“. Gedanke um Gedanke kreist in seinem Kopf, wiederholt sich, ordnet sich scheinbar neu. Niemals kommt sein Denken zu einem Abschluss. Der Geisteszustand Hertervigs grenzt an Verwirrung und seine Gedanken verwirren sich mehr und mehr durch die ihn befremdenden Erlebnisse. Sind seine Gedanken wahnhaft, Verfolgungsfantasien oder der Ausdruck seiner Realität?

Dies lässt Jon Fosse in seinem Roman „Melancholie“ offen. Er betrachtet das Geschehen aus der Sicht Hertervigs. Er versteht es in einer ausgefeilten, dem Denken dieses Menschen entsprechenden, einfachen Sprache, die subjektive Welt Hertervigs darzustellen. Das ist faszinierend und schwer zu lesen zugleich, denn die unendlichen Gedankenketten Hertervigs wälzen sich über etliche Seiten dahin. Wie einprägsam Fosses Sprache ist, stellte ich fest, als ich das Buch fortlegte. Die ewigen Wiederholungen und Wortketten begannen, von meinem Denken Besitz zu ergreifen, wie musikalische Ohrwürmer. Fast suggestiv haben sie sich in den Kopf eingeschlichen und es brauchte Zeit und Ablenkung, um sich wieder aus dieser zirkulären Gedankenwelt Hertervigs zu befreien.

Jon Fosse hat für das Denken eine Sprache geschaffen, in der Existenzielles einen einfachen Ausdruck findet. In dem, was sich zwischen den Gedankenketten auftut, rührt er an der Grenze des Unbewussten.

Mit der Geschichte Lars Hertervigs ist der Roman nicht zu Ende. Zwei weitere Erzählungen setzen an die Hertervig-Geschichte an, die sich wie die folgenden Akte eines Theaterstücks ausmachen. Generationen später werden Personen betrachtet, die mit Hertervig in familiärer Beziehung standen. Auch in diesen Erzählungen ist es der faszinierende Stil Fosses, der einen in seinen Bann zieht.

Jon Fosse bekommt Literaturnobelpreis

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