Piazza Navona
Römische Plätze IV
Die Piazza Navona gilt – wohl zu Recht – als einer der interessantesten Plätze der Welt, will mir ein populärer Reiseführer einreden. Und aufregend ist sie, die Piazza in ihrer Größe, mit ihren Brunnen und ihrem bunten Leben. Allein, sie ist nicht so bescheiden wie das einstige Blumenfeld, der Campo de´ Fiori. Vielleicht liegt es an ihrer hohen Herkunft, weil sie sich einst als Arena des Domitian bezeichnen durfte. An ihrem nördlichen Ende findet man die Piazza noch heute abgerundet. Die Menschen des Mittelalters – die wohl mehr auf ihr alltägliches Weiterleben bedacht sein mussten – errichteten ihre Häuser auf den Rängen der Arena eines zerfallenen Weltreichs. Die Außenmauern wurden einfach in die Bauten integriert. Man ließ die Trümmer nicht verkommen, sie waren zu wertvoll. Und so bewahrt die Piazza noch heute die Form der einstigen Arena, und das nicht ohne Stolz.
Für Goethe war die Arena ein beeindruckender Ort, da man das Volk mit sich selbst zu imponieren verstand. Das touristische Treiben auf der Piazza Navona, lässt einen auf die Idee kommen, dass sich daran bis heute nichts geändert hat. Um die drei Brunnen scharen sich die Menschen, und die Gaukler versuchen im Lichte des Abends zu tun, was sie am besten können: den Menschen etwas vormachen! Ist es doch angenehm, sich in Rom ein wenig entführen zu lassen. An der Fontana dei Fiumi ist der Andrang des Publikums am größten. Bernini verstand es, die Blicke auf seinen Brunnen zu ziehen. Und während die vier großen Flüsse der Fontana – der Nil, die Donau, der Rio de la Plata und der Ganges – eindrucksvoll in alle Himmelsrichtungen strömen, versuchen die Clowns, die Tänzer, Akrobaten und Musiker, die Aufmerksamkeit der vorbeiströmenden Massen wiederzugewinnen und um ihre eigene kleine Welt im Kreise der Zuschauer zu scharen.
Ein Eulenspiegel drängt sich aus der Gauklersippschaft besonders hervor. Der Mann treibt seine Späße auf Kosten der Leute, in dem er sie hereinlegt. Den aufgeputzten Frauen schaut er unter den Rock, anderen Damen beißt er wie ein Straßenköter in die Waden und es gibt keine lächerliche Pose, die er den Passanten nicht abschaut und pantomimisch ins Groteske zu steigern vermag. Dennoch will die Menge seiner potenziellen Opfer nicht kleiner werden. Nur sind die Leute stets bedacht, nicht in der vordersten Reihe zu stehen und dem Schelm in die Fänge zu gehen, was das Publikum fortwährend in auffällig hektische Bewegung versetzt. Der Kreis um den Narren lichtet sich nicht: Die Faszination, über den Tollpatsch gegenüber zu lachen, wirkt stärker, als die Gefahr selbst gefoppt zu werden. Dies haben die Eulenspiegel dieser Welt schon immer zu nutzen gewusst.
Im Spiel der Straßenkünstler, beim Rauschen des Vierströmebrunnens des Bernini und im kunstvollen Glanz der Laternen rund um die Piazza fällt kaum mehr ein einzelner Mann auf. Der Menschenstrom hat seinen Ufersaum, an dem die Leute in die Restaurants schwappen, bildet um die Kleinkünstler herum Strudel oder am Rande kleine abwegige Flüsschen, die vom großen Strom unbemerkt in die Seitengassen verschwinden.
Auch ich lasse mich an der Fontana dei Fiumi verzaubern, als mir doch noch ein einzelner Mann auffällt. Er steht zwischen den Malern, die ihre romantischen Stadtansichten präsentieren, die sich in aller Welt gleichen. Weichgezeichnete Foren, Trajanssäulen und Petersplätze, die in unendlicher Zahl auf den Staffeleien ausgestellt und von skurrilen Figuren angepriesen werden. Gern stilisieren sie das Gesicht einer Touristin hinauf in den Glanz eine Hollywooddiva.
Absurd, aber der Mann in der Menge fällt mir auf, weil er in dem skurrilen Haufen der Maler eher unauffällig erscheint. Ein grauer Anzug, eine passende einfarbige Krawatte, darüber ein offener Trench und braune Lederschuhe. Ein Beckettgesicht. Aufrecht steht er neben seiner Staffelei und einem Karton mit kleinen Romansichten im Postkartenformat. Seine Blicke, seine Mimik, seine Bewegungen erinnern mich eher an die eines Bankangestellten. Ein Handy scheint ihm in die Hand gewachsen, doch auf seine wiederholten Anrufe will niemand sich melden. Der Mann spricht auch nicht. Beiläufig sortiert er die Kartenansichten in seinem Karton, während er unaufhörlich zu telefonieren scheint. Vielleicht hört er aktuelle Börsenzahlen ab oder lange Nachrichten seiner Mailbox? Er schlägt den Kragen hoch, der das nicht mitmacht, und wenn er über die Piazza schaut, spielt er unbeholfen mit den Fingern an seinem Mantelsaum. Er blickt über die Piazza und erscheint wörtlich genommen deplatziert. Anzug und Schuhe sind aufgetragen, die Krawatte hat einen dezenten Fleck. Alles an ihm ist nicht mehr neu, doch der Mann scheint sehr bemüht, alles in einem solchen Zustand zu halten, als könne er die alltägliche Abnutzung verhindern.
Um ihn herum die Maler, ihre italienischen Gebärden und Worte. Er aber spricht nicht. Potenzielle Kunden gehen an ihm vorüber, schauen lieber die Bilder eines Baskenmützenträgers oder des Mannes mit langen zusammengebundenen Haaren und Lederweste an. Doch auch am Bankschalter würden sich die Kunden vermutlich nicht in die Schlange einordnen, für die der Herr im Anzug zuständig wäre. Da lenken mich schon die Gitarrenklänge eines alten Songs der Beatles ab, ein Japaner, der seine Frau im Gewühl um den Berninibrunnen fotografiert, ein einzelner Violinespieler. Zwei geschulte Tänzer bauen pantomimisch den Ulk ein, den unsere Zeit zum Merkmal angeblicher Leichtigkeit bestimmt hat. Die Piazza Navona ist Unterhaltung, ist Ablenkung. Nur der Herr im Anzug versucht weiterhin seine Bilder feilzubieten, während er unermüdlich telefoniert.
Michael Helm