Nur eine Lesung? Aber ein deutlich hörbares literarisches Statement für eine alte Idee. Für Gemeinsamkeit, Offenheit, Toleranz, Demokratie, Vernunft und ein ehrliches, herzliches Miteinander. So stelle ich mir das vor… und offenbar auch viele Literaten, die die EU, eine EG oder eine EWG noch nicht einmal kannten.
Sie wurden wegen ihrer Schriften oftmals verboten, sogar verfolgt. Sie lebten im Exil, innerlich oder real. Sie setzten sich dennoch ein für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Für die Idee eines geeinten Europas. Sie gaben dieser Idee ihre Stimme.
Zusammen mit der Buchhandlung Herdecke wird es 2019 vier Lesungen geben. Unter dem Motto „klein & fein – Literatur im Dachgeschoss“ freue ich mich auf intime literarische Momente in der Buchhandlung, die ich seit Kindertagen kenne. Der Platz ist begrenzt, doch um so gemütlicher wird es. Keine Verstärkung, kein Eventcharakter, einfach nur Literatur für interessierte ZuhörerInnen.
Humorvoll, gesellig, gesellschaftskritisch, nachdenklich, unterhaltsam, anregend, mahnend, informativ, um die Ecke gedacht, skurril und etwas anders soll es sein. Wir würden uns freuen, wenn Sie dabei wären.
Was Sie erwartet, finden Sie hier unter Lesungen. Der erste Literaturabend ist bereits am 14.03.19. Karten gibt es in der Buchhandlung. Da es wirklich nicht viele Plätze sind, ist eine Voranmeldung oder Kartenreservierung ratsam.
Wir freuen uns auf viel spannende Literatur im Dachgeschoss.
mh
Aus dem Block …
vorbei
ich kann sie drehen und wenden ich finde meine komfortable ansicht der dinge nicht wieder
Jon Fosse – Melancholie
Ende des 19. Jahrhunderts: Der norwegische Maler Lars Hertervig studiert in Düsseldorf Landschaftsmalerei. Er hat sich ein kleines Zimmer gemietet und verliebt sich in Helene, die fünfzehnjährige Tochter seiner Vermieter. Dieses nicht einmal richtig entflammte Verhältnis findet die Ungnade der Familie. Lars soll die Wohnung verlassen. Das Scheitern der Beziehung scheint Lars Hertervig verrückt werden zu lassen.
Was auf der inhaltlichen Ebene einfach erscheinen mag, nimmt sich in Hertervigs Denken anders aus. Denn von Anfang an ist seine Sicht der Dinge „anders“. Gedanke um Gedanke kreist in seinem Kopf, wiederholt sich, ordnet sich scheinbar neu. Niemals kommt sein Denken zu einem Abschluss. Der Geisteszustand Hertervigs grenzt an Verwirrung und seine Gedanken verwirren sich mehr und mehr durch die ihn befremdenden Erlebnisse. Sind seine Gedanken wahnhaft, Verfolgungsfantasien oder der Ausdruck seiner Realität?
Dies lässt Jon Fosse in seinem Roman „Melancholie“ offen. Er betrachtet das Geschehen aus der Sicht Hertervigs. Er versteht es in einer ausgefeilten, dem Denken dieses Menschen entsprechenden, einfachen Sprache, die subjektive Welt Hertervigs darzustellen. Das ist faszinierend und schwer zu lesen zugleich, denn die unendlichen Gedankenketten Hertervigs wälzen sich über etliche Seiten dahin. Wie einprägsam Fosses Sprache ist, stellte ich fest, als ich das Buch fortlegte. Die ewigen Wiederholungen und Wortketten begannen, von meinem Denken Besitz zu ergreifen, wie musikalische Ohrwürmer. Fast suggestiv haben sie sich in den Kopf eingeschlichen und es brauchte Zeit und Ablenkung, um sich wieder aus dieser zirkulären Gedankenwelt Hertervigs zu befreien.
Jon Fosse hat für das Denken eine Sprache geschaffen, in der Existenzielles einen einfachen Ausdruck findet. In dem, was sich zwischen den Gedankenketten auftut, rührt er an der Grenze des Unbewussten.
Mit der Geschichte Lars Hertervigs ist der Roman nicht zu Ende. Zwei weitere Erzählungen setzen an die Hertervig-Geschichte an, die sich wie die folgenden Akte eines Theaterstücks ausmachen. Generationen später werden Personen betrachtet, die mit Hertervig in familiärer Beziehung standen. Auch in diesen Erzählungen ist es der faszinierende Stil Fosses, der einen in seinen Bann zieht.