Michael Helm

Potsdam – Ein Reiserückblick

Kino. Kino. Kino.

An drei Abenden ins Kino. Das haben wir lange nicht mehr gemacht. Thalia, das ist in Potsdam keine Muse, das ist auch keine Bücherkette, das ist in Babelsberg ein traditionsreiches Kino mit angeschlossener Wohlfühlbar. Drei Kinoabende: „Indiana Jones“ erinnerte mich an alte Hollywoodstreifen und solch ein Abend gehört irgendwie in einen Sommerurlaub. „Die Unschärferelation der Liebe“ mit Caroline Peters und Burghart Klaussner ist ein wunderbarer Film, dessen Geschichte wir in gleicher Besetzung schon auf den Bühnenbrettern in Düsseldorf gesehen hatten. Sehenswert. Und „Alma & Oskar“, über die tragische Liebesgeschichte Alma Mahlers mit Oskar Kokoschka, ließ sich auch gut anschauen.

Ja, und dann gibt’s natürlich den ganzen Tratsch über die Filmstadt Babelsberg. Den erfährt man selbstverständlich im Filmmuseum sehr schön aufbereitet. Von Fritz Lang bis Tarantino. Da fehlt einem nichts. Die Geschichte der Filmstudios vor und im Nationalsozialismus, in der DDR und bis heute.

Da habe ich mir vorgenommen, das alte Kino nicht länger so sträflich zu vernachlässigen, wie in den vergangenen Jahren.

Aus dem Block …

vorbei

ich kann sie drehen und wenden
ich finde meine komfortable ansicht
der dinge nicht wieder

Jon Fosse – Melancholie

Ende des 19. Jahrhunderts: Der norwegische Maler Lars Hertervig studiert in Düsseldorf Landschaftsmalerei. Er hat sich ein kleines Zimmer gemietet und verliebt sich in Helene, die fünfzehnjährige Tochter seiner Vermieter. Dieses nicht einmal richtig entflammte Verhältnis findet die Ungnade der Familie. Lars soll die Wohnung verlassen. Das Scheitern der Beziehung scheint Lars Hertervig verrückt werden zu lassen.

Was auf der inhaltlichen Ebene einfach erscheinen mag, nimmt sich in Hertervigs Denken anders aus. Denn von Anfang an ist seine Sicht der Dinge „anders“. Gedanke um Gedanke kreist in seinem Kopf, wiederholt sich, ordnet sich scheinbar neu. Niemals kommt sein Denken zu einem Abschluss. Der Geisteszustand Hertervigs grenzt an Verwirrung und seine Gedanken verwirren sich mehr und mehr durch die ihn befremdenden Erlebnisse. Sind seine Gedanken wahnhaft, Verfolgungsfantasien oder der Ausdruck seiner Realität?

Dies lässt Jon Fosse in seinem Roman „Melancholie“ offen. Er betrachtet das Geschehen aus der Sicht Hertervigs. Er versteht es in einer ausgefeilten, dem Denken dieses Menschen entsprechenden, einfachen Sprache, die subjektive Welt Hertervigs darzustellen. Das ist faszinierend und schwer zu lesen zugleich, denn die unendlichen Gedankenketten Hertervigs wälzen sich über etliche Seiten dahin. Wie einprägsam Fosses Sprache ist, stellte ich fest, als ich das Buch fortlegte. Die ewigen Wiederholungen und Wortketten begannen, von meinem Denken Besitz zu ergreifen, wie musikalische Ohrwürmer. Fast suggestiv haben sie sich in den Kopf eingeschlichen und es brauchte Zeit und Ablenkung, um sich wieder aus dieser zirkulären Gedankenwelt Hertervigs zu befreien.

Jon Fosse hat für das Denken eine Sprache geschaffen, in der Existenzielles einen einfachen Ausdruck findet. In dem, was sich zwischen den Gedankenketten auftut, rührt er an der Grenze des Unbewussten.

Mit der Geschichte Lars Hertervigs ist der Roman nicht zu Ende. Zwei weitere Erzählungen setzen an die Hertervig-Geschichte an, die sich wie die folgenden Akte eines Theaterstücks ausmachen. Generationen später werden Personen betrachtet, die mit Hertervig in familiärer Beziehung standen. Auch in diesen Erzählungen ist es der faszinierende Stil Fosses, der einen in seinen Bann zieht.