Michael Helm

Jason Lutes – Berlin

Manche Bücher brauchen ihr Zeit. Keine neue Erkenntnis. „Berlin“ von Jason Lutes steht schon zu lange in meiner Graphic-Novel-Ecke, sodass ich mich an den Anblick des ungelesenen Mammuts schon zu gewöhnen begann. Comics sind Heftchen? Falsch. Dieser Comic ist ein Mammut von einem Buch. Ein Opus Magnum, wie ein Kritiker schrieb.

Begonnen hat es der amerikanische Zeichner Jason Lutes Mitte der 1990er. Eine Trilogie ist es geworden, die in meinem Buch in vereinter Form in Deutsch herausgegeben vorliegt. Über zwanzig Jahre hat er an allen drei Bänden gezeichnet. Lutes´ Geschichte beginnt im Berlin 1928 und endet 1933.

Ist es da ein Wunder, dass ich das dicke Mammut gerade jetzt aus dem Regal ziehe? Wieder einmal in Berlin gewesen, gerade vorher noch in Weimar. Aber gerade dann fällt mein Blick auf die eine Stelle im Regal? Das Schicksal sollte ich vielleicht nicht gleich bemühen, eher die Irrungen und Wirrungen eines Gehirns, das den geraden Weg verabscheut.

Die Weimarer Republik rückte nicht nur in Weimar immer wieder in meinen Fokus der letzten Zeit. Der Untergang unserer ersten Demokratie in Deutschland. Nicht an ihren Kinderkrankheiten eingegangen, von den Nationalsozialisten zerstört, habe ich gerade noch in der Ausstellung zur Weimarer Republik gehört und gelesen. Im Anbetracht der Tatsache, dass sich so viele Menschen wieder einen scheinbar starken, diktatorischen aber doch menschenverachtenden Staat zu wünschen scheinen, ist der Blick auf die letzten Jahre dieser Republik verständlich.

Ich bin kein Comic-Kenner. Die Zeichnungen Lutes sollen in einer europäischen Tradition stehen. Schwarz-weiß gezeichnet, in ruhigen Bildern mit klaren Konturen. Nicht actionlastig. Sie scheinen mir eher eine Stimmung wiederzugeben, als eine dynamische Handlungsabfolge. Es ist die Stimmung der späten 1920er, die mich interessiert. Und der ungewöhnliche historische Blick eines amerikanischen Zeichners auf diese vergangene, bedeutsame Zeit im Berlin, das ich im Moment so gegenwärtig vor Augen habe. Hier verwirren sich auf einmal so viele Motivationsfäden.

Kommt hinzu, dass mir Kurt Severing, die Figur gleich zu Beginn, so vertraut vorkommt. Fiebrig schlage ich nach: Kann doch nur Kurt Tucholsky gemeint sein, der gleich einem gewissen Joachim Ringelnatz in die Arme läuft. Na wenn ich da nicht gleich weiterlese, … sorry, schaue …

Aus dem Block …

Klassik trifft Rock, schon wieder?

Diese Frage könnte man sich stellen. Rock, Hard Rock, Pop, viele Musiker*innen haben mittlerweile mit bekannten Orchestern zusammen gespielt, live. Die Aufnahmen gab es dann auf CD oder auf allen anderen Kanälen zu hören. Die Ergebnisse waren sehr unterschiedlich. Mit einer Ausnahme, nämlich bei Metallica, fand ich sie nicht unbedingt beeindruckend.

Bei New Model Army ist das etwas anderes. Sie spielten mit Sinfonia Leipzig zusammen. In Leipzig fand das Konzert auch statt. Jetzt kann man die Aufnahme als „Platte“ hören. Ich bin begeistert.

Es bleibt der Sound der Band, das finde ich wichtig. Oft nimmt sich das Orchester angenehm zurück, um dann im Detail wunderbare Klangbilder zu schaffen, die das Stück tragen, begleiten oder ihm eine kleine Nuance verleihen, die ich vorher nicht entdeckt hatte. Es sind Stellen, in denen das Orchester Passagen der Songs mit klassischen Mitteln interpretiert, als wären die Stücke dafür geschrieben. Da wird nicht gezaubert, da produziert sich niemand vor dem anderen. Die New Model Army-Songs, ob alt oder jung, geben auch orchestriert ein unglaublich stimmiges Bild ab. Auch wenn die zwei musikalische Welten sehr weit voneinander entfernt zu liegen schienen. Das gilt nicht nur für die langsameren sondern auch für die Hochtempostücke. Aus zwei musikalischen Welten wird eine einzige.

Das hätte ich gerade bei dieser Gruppe, die ich seit Jahrzehnten gerne höre, nicht unbedingt gedacht. Vielleicht war das ein Fehler, denn diese besondere Art die Songs zu spielen, scheint durchaus in der Musik New Model Armys angelegt zu sein. Schön, wenn man trotz anfänglicher Skepsis so angenehm überrascht wird.

Auftrittsimpressionen

Hier einige Impressionen unseres Auftritts am 09. September 2023:

Die Vorlesewerkstatt war ein Projekt der Aktion „Herford liest ein Buch“, initiiert und organisiert vom Förderverein der Stadtbibliothek Herford, Buch.Bar.

hinten: Michael Helm | Lennard Haubrich | Jan-Hendrik Lobstein | Lennert Waletzko
vorne: Maximilian Holtkamp | Anabel Koop | Emily Pautz | Maliha Ahmed

Sechs Wochen hatten die Jugendlichen aller Herforder Schulen an Texten zum Erwachsenwerden in den 1980ern und den 2020ern gearbeitet, ein Coming Of Age zweier Jahrzehnte. Die Lesung war unsere Abschlussveranstaltung in der Stadtbibliothek Herford.

Hat Spaß gemacht. Danke an alle!