Michael Helm

Wie es jetzt weitergeht …

Lesungen im Herbst

Oft werde ich in den letzten Tagen gefragt: „Wie geht es denn jetzt weiter mit Ihren Lesungen?“ Ehrlich kann ich darauf nur antworten: „Ich weiß es auch nicht.“

Aber damit Sie nicht völlig im Corona-Regen stehen bleiben müssen, hier eine Wasserstandsmeldung unserer Überlegungen. Denn mit allen Veranstaltern stehe ich natürlich im Kontakt und alle möchten gerne nach den Ferien irgendwie weitermachen. Obwohl es sich für mich eher wie ein Neuanfang anfühlt, so lange war ich jetzt in meiner Arbeit allein auf meine Gedanken bezogen. Das muss ja auch nicht schlecht sein, im Gegenteil.

Aktuelle Infos zu allen Veranstaltungen erhalten Sie ab sofort regelmäßig hier auf www.michael-helm.de.

Stadtbücherei Spenge

In der Stadtbücherei Spenge planen wir die Lesungen im Herbst unter coronabedingten Auflagen stattfinden zu lassen. Die erste Lesung (Anna Karenina) steht bereits unter Lesungen online. Zwei weitere sind in Planung und werden auf der Webseite in den nächsten Tagen veröffentlicht. 

In allen Fällen bitten wir Sie, sich kurz vor der Veranstaltung zu informieren, ob die Lesung wirklich stattfinden kann. Das können Sie hier auf meiner Webseite tun, auf der Bücherei-Webseite (http://www.spenge.de/buecherei) oder telefonisch in der Bücherei (05225 6322).

Gerbereimuseum Enger

Wie auch in Spenge, gehe ich davon aus, dass wir die Paris-Lesung dort unter angepassten Bedingungen stattfinden lassen können. Ich würde mich freuen, Sie in dem netten Ambiente auch dort wiederzusehen. Genauere Infos bleiben auch hier abzuwarten.

Stadtbibliothek Herford

Hier ist die erste Lesung mit mir von Seiten des Fördervereins Buch.Bar schon Ende August im Gespräch. Sie soll „Open Air“ im Hinterhof der Bibliothek stattfinden. Ob, wann und wie genau, erfahren Sie dann hier in den nächsten Tagen.

Für die Matineen im Herbst bin ich mit der Bibliotheksleitung im Gespräch. Ich bin hoffnungsfroh, dass wir für die beiden Veranstaltungen eine Lösung finden werden.

Bielefeld

In Bielefeld ist eine „Open Air“-Lesung für Ende August im Gespräch. Zusammen mit zwei Musikern (Habib Yilmaz & Stefan Kallmer) überlegen wir dort Leila & Madschnun aufzuführen. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen und vertröste Sie auf hoffentlich baldige Vollzugsmeldungen hier. 

Buchhandlung Herdecke

In der Buchhandlung Herdecke haben wir die größten Probleme und wir sehen dort noch nicht die Möglichkeit, in den doch sehr engen Räumlichkeiten im Herbst Lesungen zu veranstalten. Es sei denn, wir fänden adäquate Ausweichörtlichkeiten. Da sind wir dran. Wird aber nicht einfach.

Alles Weitere hängt in naher Zukunft von unser aller Verhalten ab. Stand jetzt, bin ich noch optimistisch, dass die genannten Lesungen stattfinden könnten. Sollten die Corona-Zahlen jedoch weiter ansteigen, kann niemand von uns vorhersagen, was passiert. Die Veranstalterinnen und Veranstalter und ich sind bemüht, das alles irgendwie hinzubekommen. Grundsätzlich aber gilt: Gesundheit von Publikum, Aufführenden und Organisierenden geht vor. 

Informieren Sie sich einfach hier regelmäßig über den Stand der Dinge. 

Ich hoffe, Sie alle bald gesund wiederzusehen. 

Ihr Michael Helm

Aus dem Block …

Der Fremde

gesprochen von Ulrich Matthes

Meursault eine Stimme geben? Wer könnte das besser als Ulrich Matthes. Nach meiner Camus-Lektüre in den vergangenen Wochen, habe ich mir „Der Fremde“, gesprochen von Ulrich Matthes, angehört. Bei Hörbüchern bin ich sehr zurückhaltend. Ich mag einige sehr bekannte deutsche Hörbuchsprecher überhaupt nicht. Zu einer Stimme, auf die ich mich stundenlang einlasse, habe ich eine besondere Beziehung. Das muss passen. Das ist nicht zu begründen. Das ist eine Bauchentscheidung. Matthes passt. 

Seiner Stimme kann ich zuhören, auf dem Sofa, auf einem Spaziergang, auf dem überfüllten Bahnsteig. Ich verliere nicht den Faden, wie es mir bei anderen häufig passiert. Er hält mich immer im Stück. 

Camus´ Werke zu sprechen, insbesondere den Fremden, Meursault, ist eine besondere Herausforderung. Ulrich Matthes hält sich zurück, gibt dem Text genau die lakonische Stimmung, die er braucht. Gleichzeitig wirkt die Stimme in den Detailbetonungen nie monoton. Es entstehen Bilder beim Hören, wie sie mir selbst beim Lesen nicht gekommen waren, obwohl ich bei der Lektüre viel mehr Zeit hatte. Rhythmus, Tempo, Pause, das alles wird wunderbar in eine Stimme gebracht, wie ich sie mir für Meursault vorstelle. Diese Stimme bleibt in meinem Kopf. Dank des Autors, dank des Sprechers.

mh

24.08.1922 – Tucholsky vor einhundert Jahren

„Wir sind fünf Finger an einer Hand“, schreibt Kurt Tucholsky in einem Artikel der Weltbühne 1922. Die fünf aus dem Zitat, das sind Peter Panter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser, Theobald Tiger und Kurt Tucholsky selbst. Tucholsky ist eigentlich kein Pseudonym, aber unter all diesen Namen veröffentlichte er in den verschiedenen Zeitungen. Und der Name Tucholsky trollte sich eben wie ein solches im Reigen der anderen Pseudonyme. Zusammen hatten sie die Schlagkraft, die der 1890 in Berlin geborenen Tucholsky aufbringen musste, um gegen die Missstände in der jungen Weimarer Republik anzuschreiben, für die Freiheit und für die Demokratie. „Wir alle Fünf lieben die Demokratie.“

Wir alle Fünf
von Kurt Tucholsky

Die rechtsstehende Presse amüsiert sich seit einiger Zeit damit, mich mit allen meinen Pseudonymen als »den vielnamigen Herrn« hinzustellen, »der je nach Bedarf unter diesem oder unter jenem Namen schreibt«. Also etwa: Schmock oder Flink und Fliederbusch oder so eine ähnliche Firma.

Aber wir stammen alle Fünf von einem Vater ab, und in dem, was wir schreiben, verleugnet sich der Familienzug nicht. Wir lieben vereint, wir hassen vereint – wir marschieren getrennt, aber wir schlagen alle auf denselben Sturmhelm.

Und wir hassen jenes Deutschland, das es wagt, sich als das allein echte Original-Deutschland auszugeben, und das doch nur die schlechte Karikatur eines überlebten Preußentums ist. Jenes Deutschland, wo die alten faulen Beamten gedeihen, die ihre Feigheit hinter ihrer Würde verbergen; wo die neuen Sportjünglinge wachsen, die im Kriege Offiziere waren und Offiziersaspiranten, und die mit aller Gewalt – und mit welchen Mitteln! – wieder ihre Untergebenen haben wollen. Und deren tiefster Ehrgeiz nicht darin besteht: etwas wert zu sein – sondern: mehr wert zu sein als die andern. Die sich immer erst fühlen, wenn sie einen gedemütigt haben. Jenes Deutschland, wo die holden Frauen daherblühen, die stolz auf ihre schnauzenden Männer sind und Gunst und Liebesgaben dem bereit halten, der durch bunte Uniform ihrer Eitelkeit schmeichelt. Und die in ihrem Empfinden kaltschnäuziger, roher und brutaler sind als der älteste Kavallerie-Wachtmeister. Wir alle Fünf hassen jenes Deutschland, wo der Beamtenapparat Selbstzweck geworden ist, Mittel und Möglichkeit, auf den gebeugten Rücken der Untertanen herumzutrampeln, eine Pensionsanstalt für geistig Minderbemittelte. Wir alle Fünf unterscheiden wohl zwischen jenem alten Preußen, wo – neben den fürchterlichsten Fehlern – wenigstens noch die Tugenden dieser Fehler vorhanden waren: unbeirrbare Tüchtigkeit, Unbestechlichkeit, catonische Strenge und puritanische Einfachheit. Aber es hat sich gerächt, dass man all das nur als Eigenschaften der Herrscherkaste züchtete und den ›gemeinen Mann‹ mit verlogenen Schullesebüchern und Zeichnungslisten für Kriegsanleihen abspeiste. So sieht kein Mensch einen Hund an wie die regierenden Preußen ihre eignen Landsleute, von deren Steuern und Abgaben sie sich nährten. Und wir hassen jenes Deutschland, das solche Bürger hervorgebracht hat: flaue Kaufleute, gegen die gehalten die alten Achtundvierziger Himmelsstürmer waren – satte Dickbäuche, denen das Geschäft über alles ging, und die hoch geschmeichelt waren, wenn sie an ihrem Laden das Hoflieferantenschild anheften durften. Sie grüßten noch die leere Hofkarosse und betrachteten ehrfurchtsvoll den Mist der kaiserlichen Pferde. Spalierbildner ihres obersten Kommis.

Wir alle Fünf lieben die Demokratie. Eine, wo der Mann zu sagen hat, der Freie und der Verantwortungsbewußte. Eine, wo die Menschen nicht ›gleich‹ sind wie die abgestempelten Nummern einer preußischen Kompanie, jener Inkarnation eines Zuchthausstaates – sondern eine, wo zwischen einem Bankpräsidenten und seinem Portier kein Kastenunterschied mehr besteht, sondern nur ein ökonomischer und einer in der äußern Beschäftigung. Ob sie miteinander Tee trinken, ist eine andre Sache. Daß es aber alles beides Menschen sind, steht für uns fest.

Jenes Deutschland wollen wir zerstören, bis kein Achselstück mehr davon übrig ist. Dieses wollen wir aufbauen, wir alle Fünf.

Und ob das Blatt für die Idioten der Reichshauptstadt und seine geistesverwandte Wulle- und Mudicke-Presse lügt, hetzt oder tadelt: – wir gehören zusammen, wir alle Fünf, und werden sie auf die hohlen Köpfe hauen, dass es schallt, und dass die braven Bürger denken, die kaiserliche Wache ziehe noch einmal auf und der Gardekürassier schlage noch einmal die alte Kesselpauke.

Wir sind fünf Finger an einer Hand. Und werden auch weiterhin zupacken, wenns not tut.

Kurt Tucholsky
Die Weltbühne vom 24.08.1922