Michael Helm

Warum trinke ich Tee?

Banaler geht´s nicht mehr, oder?

Vor Jahren habe ich mir eine andere banale Frage gestellt. Warum trinke ich überhaupt täglich meinen Kaffee? Ich wunderte mich selbst über die Frage, zwang mich aber zu einer Antwort. Ich hatte keine, die mich überzeugt hätte. Koffein? Wirkt nicht so richtig bei mir. Ich kann abends Kaffee trinken und gut danach schlafen. Der Geschmack? Ich finde ihn sogar ekelig. Das war mir vorher nie aufgefallen. Warum eigentlich nicht? Gewohnheit? Eine erhellende Antwort. Irgendwann schaut man sich etwas ab und behält es bei, weil es andere auch tun.

Die Antwort hatte Konsequenzen. Ich versuchte es mit Tee. Schwarzen Tee kannte ich aus meiner Kindheit. Wenn ich krank war, trank ich Kamillenblütentee oder dieses tief bittere, schwarze Gesöff, auf dem ein schimmernder Film schon meinen Ekel erregte. Der nächste Gedanke: Zwieback. Dann: Erbrechen. Keine hilfreiche Assoziationskette.

Durch Zufall stieß mich eine Händlerin auf grünen Tee. Weil ich mit dieser Teefrau so gern über die verschiedenen Sorten, die Gewinnung, die Herkunftsländer und die Zubereitung sprach, bin ich bei meinem täglichen, japanischen Sencha hängen geblieben. Eine bewusste Entscheidung. Vielleicht. Oder einfach das gute Gefühl, gerne mit einem Menschen zu sprechen, der sich an dieselbe Leidenschaft gewöhnt hat. Die Teefrau will mir in ihrem kleinen Laden nicht aus dem Kopf. Sie ist wie eine angenehme Erinnerung, hinterlässt ein gutes Gefühl in mir.

Grüner Tee ist fantastisch. Er schmeckt und belebt mich.
Wohl bekomm´s.

Aus dem Block …

vorbei

ich kann sie drehen und wenden
ich finde meine komfortable ansicht
der dinge nicht wieder

Jon Fosse – Melancholie

Ende des 19. Jahrhunderts: Der norwegische Maler Lars Hertervig studiert in Düsseldorf Landschaftsmalerei. Er hat sich ein kleines Zimmer gemietet und verliebt sich in Helene, die fünfzehnjährige Tochter seiner Vermieter. Dieses nicht einmal richtig entflammte Verhältnis findet die Ungnade der Familie. Lars soll die Wohnung verlassen. Das Scheitern der Beziehung scheint Lars Hertervig verrückt werden zu lassen.

Was auf der inhaltlichen Ebene einfach erscheinen mag, nimmt sich in Hertervigs Denken anders aus. Denn von Anfang an ist seine Sicht der Dinge „anders“. Gedanke um Gedanke kreist in seinem Kopf, wiederholt sich, ordnet sich scheinbar neu. Niemals kommt sein Denken zu einem Abschluss. Der Geisteszustand Hertervigs grenzt an Verwirrung und seine Gedanken verwirren sich mehr und mehr durch die ihn befremdenden Erlebnisse. Sind seine Gedanken wahnhaft, Verfolgungsfantasien oder der Ausdruck seiner Realität?

Dies lässt Jon Fosse in seinem Roman „Melancholie“ offen. Er betrachtet das Geschehen aus der Sicht Hertervigs. Er versteht es in einer ausgefeilten, dem Denken dieses Menschen entsprechenden, einfachen Sprache, die subjektive Welt Hertervigs darzustellen. Das ist faszinierend und schwer zu lesen zugleich, denn die unendlichen Gedankenketten Hertervigs wälzen sich über etliche Seiten dahin. Wie einprägsam Fosses Sprache ist, stellte ich fest, als ich das Buch fortlegte. Die ewigen Wiederholungen und Wortketten begannen, von meinem Denken Besitz zu ergreifen, wie musikalische Ohrwürmer. Fast suggestiv haben sie sich in den Kopf eingeschlichen und es brauchte Zeit und Ablenkung, um sich wieder aus dieser zirkulären Gedankenwelt Hertervigs zu befreien.

Jon Fosse hat für das Denken eine Sprache geschaffen, in der Existenzielles einen einfachen Ausdruck findet. In dem, was sich zwischen den Gedankenketten auftut, rührt er an der Grenze des Unbewussten.

Mit der Geschichte Lars Hertervigs ist der Roman nicht zu Ende. Zwei weitere Erzählungen setzen an die Hertervig-Geschichte an, die sich wie die folgenden Akte eines Theaterstücks ausmachen. Generationen später werden Personen betrachtet, die mit Hertervig in familiärer Beziehung standen. Auch in diesen Erzählungen ist es der faszinierende Stil Fosses, der einen in seinen Bann zieht.