In den Sommerferien waren wir einmal wieder in Weimar unterwegs. Für mich eine Stadt der Entspannung.
Flanieren im Park an der Ilm, zwischen dem Café am Frauentor, dem Shakespeares, einem netten Restaurant mit schönem Biergarten, und dem wunderbaren Eiscafé am Theaterplatz. Und dann schaue ich mir einfach noch einmal an, was ich schon gesehen habe, vertiefen möchte, wieder entdecken oder neu anschauen. Weimar geht immer.
Hier also in den nächsten Tagen einige Reiseeindrücke im Rückblick.
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Im Café am Frauentor sitze ich gerne, … lange … und mit Genuss. Eines der wenigen Cafés, die ich kenne, wo ich keinen grünen Tee in Beuteln bekomme, grüner Tee nicht im kochenden Wasser serviert wird und ich nicht verblüfft angeschaut werde, wenn ich danach frage. Dort kam der Kellner bereits am zweiten Tag mit einem Lächeln auf mich zu: „Sencha im Kännchen?“ Die wissen dort halt, was mich glücklich macht. Grüner Tee garantiert meine geistige Wachheit. In dem Zustand genieße ich den Blick in Richtung Frauenplan, in Richtung Schillerhaus oder einfach den Blick auf die vorbeischlendernden Menschen. Die Seele baumeln lassen. Der Straßenmusik lauschen. Dafür bin ich in Weimar.
Aus dem Block …
vorbei
ich kann sie drehen und wenden ich finde meine komfortable ansicht der dinge nicht wieder
Jon Fosse – Melancholie
Ende des 19. Jahrhunderts: Der norwegische Maler Lars Hertervig studiert in Düsseldorf Landschaftsmalerei. Er hat sich ein kleines Zimmer gemietet und verliebt sich in Helene, die fünfzehnjährige Tochter seiner Vermieter. Dieses nicht einmal richtig entflammte Verhältnis findet die Ungnade der Familie. Lars soll die Wohnung verlassen. Das Scheitern der Beziehung scheint Lars Hertervig verrückt werden zu lassen.
Was auf der inhaltlichen Ebene einfach erscheinen mag, nimmt sich in Hertervigs Denken anders aus. Denn von Anfang an ist seine Sicht der Dinge „anders“. Gedanke um Gedanke kreist in seinem Kopf, wiederholt sich, ordnet sich scheinbar neu. Niemals kommt sein Denken zu einem Abschluss. Der Geisteszustand Hertervigs grenzt an Verwirrung und seine Gedanken verwirren sich mehr und mehr durch die ihn befremdenden Erlebnisse. Sind seine Gedanken wahnhaft, Verfolgungsfantasien oder der Ausdruck seiner Realität?
Dies lässt Jon Fosse in seinem Roman „Melancholie“ offen. Er betrachtet das Geschehen aus der Sicht Hertervigs. Er versteht es in einer ausgefeilten, dem Denken dieses Menschen entsprechenden, einfachen Sprache, die subjektive Welt Hertervigs darzustellen. Das ist faszinierend und schwer zu lesen zugleich, denn die unendlichen Gedankenketten Hertervigs wälzen sich über etliche Seiten dahin. Wie einprägsam Fosses Sprache ist, stellte ich fest, als ich das Buch fortlegte. Die ewigen Wiederholungen und Wortketten begannen, von meinem Denken Besitz zu ergreifen, wie musikalische Ohrwürmer. Fast suggestiv haben sie sich in den Kopf eingeschlichen und es brauchte Zeit und Ablenkung, um sich wieder aus dieser zirkulären Gedankenwelt Hertervigs zu befreien.
Jon Fosse hat für das Denken eine Sprache geschaffen, in der Existenzielles einen einfachen Ausdruck findet. In dem, was sich zwischen den Gedankenketten auftut, rührt er an der Grenze des Unbewussten.
Mit der Geschichte Lars Hertervigs ist der Roman nicht zu Ende. Zwei weitere Erzählungen setzen an die Hertervig-Geschichte an, die sich wie die folgenden Akte eines Theaterstücks ausmachen. Generationen später werden Personen betrachtet, die mit Hertervig in familiärer Beziehung standen. Auch in diesen Erzählungen ist es der faszinierende Stil Fosses, der einen in seinen Bann zieht.