Michael Helm

Pragmatische Antworten

vom 10. Januar 2020

Die Verlegerin und Autorin Franziska Röchter hat mich im Interview für den Blog auf Das Gedicht gefragt, was mich an Annette von Droste-Hülshoff fasziniert. Wie alle Fragen, die man in Interviews beantworten soll, ist das eine, auf die ich zwei Arten von Antworten weiß. 

Interview von Franziska Röchter im Online-Forum der Zeitung Das Gedicht. Link

Die erste Art zu antworten, ist reiner Pragmatismus. Man kennt und schätzt die Werke seit Jahren. Sie sind einem vertraut. Programme anderer Rezitatoren hat man gehört. Man war an den Orten ihres Lebens in Münster, auf Schloss Hülshoff und im Rüschhaus, auch am Bodensee auf der Meersburg. Die andere Art zu antworten ist kompliziert. Ich versuche dann zu sagen, was schlecht in Worte zu fassen ist. Am liebsten würde ich dann nur antworten: „Kommen Sie auf die Droste-Lesung. Da hören Sie doch alles zwischen den Zeilen.“ Aber das ist natürlich keine zufriedenstellende Antwort. 

Annette von Droste-Hülshoff lese ich so lange schon, wie den anderen großen Nordrhein-Westfalen, Heinrich Heine. Hat räumliche Nähe etwas mit Vorliebe zu tun, zumal bei Menschen, die in einem anderen Jahrhundert hier gelebt haben?

Pragmatische Antwort: Räumliche Nähe zieht, wenn es um die Ankündigung einer Lesung geht. Sehr pragmatisch, oder?

Das Münsterland zur Droste-Zeit ist mir nicht vertrauter, als einem Berliner, der noch nie hier war. Dennoch stehe ich auf der Meersburg im Droste-Zimmer im Turm und schaue über den Bodensee und über die Alpen und glaube etwas zu verstehen. Vielleicht geht die Fantasie mit mir durch und ich sehe nur, was ich sehen möchte? Der Ort scheint plastisch zu machen, was in Biografien steht. Das möchte ich gerne denken. Zweifel bleiben. Es sind meine Vorstellungen, die prägend dafür werden, wie ich ein Gedicht lese, das die Dichterin hier geschrieben hat.

Lese ich Mondesaufgang bei Lesungen, dann denke ich an die Meersburg. Ich kann gar nicht anders. Dann ist das Gedicht ausgesprochen und im Raum bleibt diese Stille. Das geht mir gerade bei Gedichten der Droste-Hülshoff so. Die Stille bleibt, das Gedicht bleibt und irgendetwas ist passiert. Ich will gar nicht erst fragen, was. Es sind diese Momente bei Lesungen, die mich berühren … Es sind tolle Momente. Am liebsten würde ich gar nicht weiterlesen, einfach nur aushalten, der Stille dieser Lyrik nachspüren …

Im Radio käme längst schon wieder irgend etwas, geschweige denn in anderen Medien. Das permanente Gebrabbel eben. 

Übrigens wurde Annette von Droste-Hülshoff am 10. Januar 1797 geboren. Spielt das eine Rolle?

Pragmatische Antwort: Geburtstage und Jubiläen ziehen bei der Ankündigung einer Veranstaltung. Und beim Schreiben einer Block-Notiz, wie dieser hier. Sehr pragmatisch, oder?

Michael Helm

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