Michael Helm

Kurt Tucholsky – Rheinsberg

vom 13. August 2023

„Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“. Eine kleine Reisegeschichte. Eine kleine Liebesgeschichte. Eine kleine Sommergeschichte. Ein kleines Büchlein. Und weil es immer klein ist, könnte man denken, es sei nichts Großes. Klein heißt aber eigentlich, dass es in einer Bescheidenheit und Vergnügtheit daherkommt, die ihresgleichen sucht. Typisch Tucholsky ist der Witz mit dem der Autor gern in Worten spielt, in diesem Büchlein sogar zaubert. Das Spiel mit den Dialekten, mit kindlichen Sprachspielereien macht es so vergnüglich, so leicht.

Und doch sind da die kritischen Untertöne, wenn Tucholsky seine Figuren genau beobachtet in ihren kleinen Schwächen. Der Kontrast zwischen dem Liebespaar Gambetta, das unverheiratet unter falschem Namen in den Kurzurlaub nach Rheinsberg (nördlich von Berlin) reist und den gesellschaftlichen Konventionen, die sich im Wesen des Schlosskastellans ausdrücken, ist von feinstem ironischem Humor. Es ist die Fallhöhe zwischen den alten Konventionen des Kaiserreichs, in dem Tucholsky aufwuchs, und den neuen, liberalen Vorstellungen, die nach dem Krieg in die Weimarer Republik führen werden. Eine freie Liebe, ein freierer Umgang zwischen den Geschlechtern, das wird für mich in den Neckereien zwischen Wölfchen und Claire spielerisch skizziert.

Das Buch erschien 1912. Der umgangssprachliche, aber intelligente Ton war bis dahin unüblich in der deutschen Literatur. Er fand aber großen Anklang. Ob es daran lag, das Tucholsky in seiner Berliner „Bücherbar“ zum Literaturkauf geistige Getränke anbot? Er schrieb selbst in der Weltbühne darüber schmunzelnd:

„Die Presse brachte sich um. Die ‚Breslauer Zeitung‘ war dagegen, die ‚Vossische‘ dafür, Prag und Riga verhielten sich neutral – die Ausschnitte sind noch da – und der ‚Sankt Petersburger Herold‘ vom achtzehnten Dezember 1912 schrieb, wer einen Wilde erstehe, der bekäme Whisky Soda, und wer Ibsen kaufte, einen nordischen Korn. Das stimmte aber nicht – wir tranken selber. Und verkauften schrecklich viele ‚Rheinsbergs‘.“

(Kurt Tucholsky, Die Weltbühne, 08.12.1921, Nr. 49)

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