Michael Helm

Kaspars Gedankengang VIII

vom 08. Dezember 2021

… bevor ich mir einige Gedanken über die Übersetzung des Buchs 1984 mache, erst einmal Folgendes … 

… Winston Smith lebt in London im Jahr 1984 … Das liegt in der Zukunft, jedenfalls vom Jahr der Entstehung des Romans aus betrachtet, der 1949 das erste Mal erschienen ist … Die Welt ist in drei Großmächte aufgeteilt, die permanent miteinander im Krieg liegen. Im EngSoz (Englischer Sozialismus) herrscht eine einzige Partei über das Land und die Großmacht Ozeanien. Ihr Führer ist der Große Bruder. Sein Konterfei findet sich auf Plakaten, die überall hängen, selbst in den Häusern. In allen Wohnungen gibt es Telemonitore, die Propaganda zeigen und Bild und Ton aus den Wohnungen empfangen. Die Menschen werden rund um die Uhr überwacht. Man kann die Telemonitore nicht ausschalten. In jedem Kollegen und jeder Kollegin muss Winston einen potentiellen Spitzel der Partei vermuten. Gesprochen wird neben Altsprech, dem vorher gängigen Englisch, Neusprech … reduziertes Vokabular … eingeschränkte Wortbedeutungen … bis zur Unkenntlichkeit simplifizierte Grammatik … Einschränkung des Denkens auf sprachlicher Ebene … Verfolgung droht Winston schon bei einem falschen Gedanken … das wird von der Gedankenpolizei (Denkpol) überwacht … 

… Die Vergangenheit ist manipulierbar. Winston fälscht alte Times-Auflagen, indem er Nachrichten anpasst, Meldungen korrigiert, Daten verändert, Menschen verschwinden lässt, die das Regime hat verschwinden lassen, neue Biografien, neue Personen erfindet. Einmal korrigiert, hat es nie eine andere Vergangenheit gegeben, nie eine andere Wahrheit, als die augenblickliche. Beweise werden in einem übermächtigen Bürokratieapparat vernichtet. Seine persönlichen Erinnerungen an eine abweichende Vergangenheit sind „falsch“. Wollte er auf ihnen bestehen, machte er sich eines Gedankenverbrechens schuldig. Es hat nie eine andere Vergangenheit gegeben! Winston verändert die historischen Fakten und weiß, dass sie nie anders waren, als jetzt. Doppeldenk heißt diese Art des gewünschten Denkens … 

… Die Partei und der Große Bruder sind der Garant für Wohlstand, Fortschritt und Frieden. Das London der Zeit ist verarmt und heruntergekommen. Wissenschaft und Kultur, freies Denken und Handeln sind unerwünscht. Es herrscht ununterbrochen Krieg mit einer anderen Macht … Doppeldenk … 

… Andersdenkende sind Feinde … werden Sündenböcke … werden verfolgt, inhaftiert, umerzogen oder vernichtet …

… in einer kleinen Nische seiner Wohnung – durch Zufall vom Telemonitor unbeobachtet – beginnt Winston ein Tagebuch zu schreiben. Ein Verbrechen. Er verliebt sich in Julia und wird sich heimlich mit ihr verabreden. Ein Verbrechen. Sie umgehen den Überwachungsstaat und suchen Rückzug in ihrer Liebe. Ein Verbrechen. Die Liebe der beiden fliegt auf. Was Winston nun droht, wird im letzten Teil des Buches durchexerziert. Die Ausübung jeglicher Gewalt des Regimes über den Einzelnen, um ihn zu brechen …

„Syme ist verschwunden. Eines Morgens fehlt er bei der Arbeit: Ein paar gedankenlose Leute machen Bemerkungen. Am nächsten Tag nicht mehr. Am dritten Tag geht Winston in den Vorraum der Abteilung Archiv, zum Schwarzen Brett. Einer der Aushänge ist die ausgedruckte Mitgliederliste des Schachkomitees, zu dem Syme gehört. Sie sieht fast genauso aus wie zuvor – nichts Durchgestrichenes -, aber sie ist um einen Namen kürzer. Das reicht. Syme existiert nicht mehr: er hat nie existiert.“

George Orwell – 1984
übersetzt von Frank Heibert
(Fischer, 2021, S. 198)

… Keine schöne neue Welt, die George Orwell in 1984 geschrieben hat, eine Dystopie. Eine Warnung vor jeder Form des Totalitarismus. Seine Kritik am kommunistischen System ist unüberlesbar, aber so allgemeingültig dargestellt, dass sie bis in unsere heutigen Tage trifft. Egal welche Ideologien dahinter stecken mögen, das Prinzip, die Mechanismen, Menschen totalitär zu beherrschen, bleiben gültig …

Kaspar Hauser

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