Michael Helm

Kaspars Gedankengang II

vom 21. September 2021

… Gedanken kommen mir in die Quere. Gestern in einer literarischen Mußestunde Jon Fosse gelesen. Kleinere Szenen fürs Theater und Prosastücke aus dem Buch, das mein Buchhändler für mich aufgestöbert hatte …

Jon Fosse – Kindheitsszenen
mit Holzschnitten von Olav Christopher Jenssen
übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel
Kurzprosa, Kleinheinrich, 2019, S. 182
isbn/ean: 9783945237267

… seit Jahren lese ich alles von Fosse, was Hinrich Schmidt-Henkel ins Deutsche überträgt. Fosse ist einer der Autoren, die mich nachhaltig beeinflusst haben. Eine ruhige und klare Sprache, wie er sie selbst nennt. In den Theaterstücken ist die Pause und die Sprachlosigkeit tragendes Element, in der Prosa sind Pausen ungleich schwieriger einzusetzen. Gedanken kreisen, wiederholen sich, sind aber dennoch nie gleich, weil sie sich im Vergehen der Zeit – und sei die Spanne noch so kurz – verändern … Fosses Sprache wird für mich zu einem Sog, getragen von der Musikalität, die er mit den wenigsten, einfachsten Worten zu erzeugen versteht … wie sich Menschen versuchen näher zu kommen, stumm werden, trotz der Worte, die sie füreinander haben … 

… die Kindheitsszenen sind wunderbar, ich lese hier eine, dort eine, schaue die Holzschnitte von Jenssen an … Pause … schlage das Buch wieder auf, lese weiter … Asle hat noch nie ein Buch gelesen und entdeckt die Sprache für sich; Jon Fosse benötigt dafür sieben Zeilen … Großmutter liegt in einem Bett, sie kann nicht mehr reden, der Erzähler versucht, ihr nahe zu sein, er fragt sie … und sie versucht, zu antworten, versucht, ihre Lippen eine Antwort formen zu lassen … dann muss ich das Buch für einen kleinen Moment schließen … es wirken lassen … pausieren … ein alter Mann hört den jungen Asle bei der Bandprobe im Jugendfreizeitheim spielen, sie finden nur beiläufig Worte für die Musik und verstehen sich am Ende doch … hier gelingt Kommunikation über die Musik, tatsächliche oder in der Sprache angelegte …

… ein Leseerlebnis, dank meines Buchhändlers. Das hätte ich nie online aufgestöbert. Eine Verbeugung vor dem kleinen Buchladen mit Sachverstand, Kundenkenntnis und Beratung … schön, dass es euch gibt …

Kaspar Hauser

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