Schöne Orte, trotz 34°C im Schatten…
Bilderbuchfrische zum Anklicken!
mh
Bilderbuchfrische zum Anklicken!
mh
»Dauerverlustgeschäft« ist ein schickes Wort, das mir neulich begegnete. Es bezeichnet Volkshochschulen, Bibliotheken, Theater und künstlerisches Engagement allgemein. Generös wird darauf hingewiesen, dass man trotz des finanziellen kulturellen Desasters ja noch getragen werde. Irgendwie sei man ja doch wichtig. Noch und irgendwie! Ich denke, wir werden, wenn wir so weiter machen, noch merken, wie wichtig Bibliotheken, Theater und Volkshochschulen waren. Ich wünsche mir hin und wieder einmal einen kulturellen Generalstreik: Einen Monat lang keine nahezu kostenlose Bücherausleihe, kein Kinder- und Jugendtheater, keine Lesescouts, keine Theaterfestivals, keine Konzerte, kein Musikunterricht, keine Lesungen, Bücher verweigern das Aufgeplapptwerden, E-Book-Reader geben den Geist auf, Instrumente verweigern die Tonabgabe, ebenso Tonwiedergabegeräte, Computer machen nur noch wirtschaftlich Mögliches, Zeitungen verweigern sich hartnäckig dem Leser, Nachrichtensendungen, Feuilletons, Filmausstrahlungen, Radiosender, TV und Kultur im Internet, nichts, nada, nothing. In diesem Sinne Grüße vom
Dauerverlustverwalter
Der 16. Juni 1904 war ein besonderer Tag. Für James-Joyce-Begeisterte so besonders, dass sie ihn in der ganzen Welt jährlich feiern. Die einen ziehen sich schmökernd auf die Couch zurück und begleiten Leopold Bloom wieder ein Stück weit durch Dublin, Kapitel für Kapitel. Andere treffen sich und machen verrückte Dinge zusammen, die nur Eingeweihte wirklich lustig finden. Es gibt eben auch richtige Literaturgroupies.
Der 16. Juni ist jedenfalls der Tag, an dem der irische Schriftsteller James Joyce seinen Helden Leopold Bloom einen ganzen Tag nicht nur durch die irische Hauptstadt, sondern durch die ganze europäische Kulturgeschichte wandern lässt. Leopold Bloom und der 16. Juni sind in der Weltliteratur nicht mehr zu trennen.
Grundlage des Werkes ist die homersche Odyssee. Einer solchen Irrfahrt gleich bewegen sie die Protagonisten einen ganzen Tag lang durch Dublin. Es gibt Leute, die behaupten, sie könnten die Stadt anhand der Schilderungen wieder aufbauen, wäre diese einmal gänzlich zerstört. Das wäre logischerweise die museale Rekonstruktion des „Bloomsdays“ im Jahr 1904. Mancher Freak mag sich das im Stillen ja wünschen. Doch auch ohne zerstörerischen Träumen Gedankenraum zu geben, kann man sich in Dublin noch heute entlang der Wege und Orte bewegen, die James Joyce beschrieben hat. Detailliert bewegt sich der Leser in den Gedankenströmen und Gesprächen seiner Figuren durch Straßen, Bibliotheken, Krankenhäuser, Redaktionen, über Friedhöfe und in Lokalitäten aller Art. Gestreift wird darin alles, worin Europa geistig wurzelt: Dichter und volkstümliche Sänger, der große William Shakespeare, die christlichen und jüdischen Wurzeln, von Aristoteles bis Zeus, Anspielungen auf alles und jeden, der oder das unsere Kultur ausmacht – sofern so etwas möglich ist – geschrieben in den unterschiedlichsten literarischen Stilen und Anspielung auf alle denkbaren Kunstformen; Kapitel für Kapitel erfrischend anders. Ein intellektuelles und sprachliches Feuerwerk.
Der Ulysses begeistert die Joyceanhänger, unverkennbar. Einfach zu lesen ist er jedoch nicht – das sei offen gesagt – was dem Buch immer wieder den Ruf der Unlesbarkeit einträgt und manchen Onlinekritiker dazu verleitet Schmähschriften statt Buchempfehlungen zu hinterlassen. „Intellektueller Schwachsinn“ oder „literarischer Durchfall“ sind nur wenige Verunglimpfungen, die mir begegnet sind. Meist sagt das mehr über den Kritiker, als über den Ulysses. Jeder hat seinen eigenen Geschmack. Ich schätze dieses Buch, weil es mich schon ein Leben lang begleitet. Jährlich mit anderen Menschen zusammenkommen und sich Kapitel für Kapitel austauschen, immer wieder Neues entdecken und verstehen, was einem vor Kurzem noch schleierhaft schien – was will Literatur denn noch mehr. Das – liebe Ignoranten jeder gepflegten Verrücktheit – macht tatsächlich Freude! Kaum zu Glauben, oder?
Ich treffe jedenfalls heute wieder herrlich verrückte Geister, die sich trauen, beim Guinness Verrücktes zu lesen und zu denken. Und danach gibt’s Fußball, ein verrücktes Bloomsdayvergnügen eben. In diesem Sinne: Happy Bloomsday!
mh
Es gibt Menschen, die einem Hilfe bei der Auswahl guter Lektüre sind, die wichtigsten: der Buchhändler meines Vertrauens und die, mit meiner Lesebesessenheit vertraute, Bibliothekarin. Letztere entzog meinem neugierigen Blick just eine Neuerscheinung mit den Worten: „schwervermittelbar und stinkt!“ Damit war alles gesagt. Was derart präzise auf den Punkt gebracht schien, hatte jedoch einen psychologischen Haken. Ich kann mich einfach nicht erinnern, wie Autor und Titel des Buches heißen, das mir ein hochgeschätzter Kollege in Sachen Buchbesessenheit gerade erst empfohlen hatte. Die Nicht-Empfehlung der Bibliothekarin bekomme ich jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Ich kann machen, was ich will. Wann bekommt man schon mal Schwervermittelbares, das stinkt, nicht-empfohlen! Zu deinem Schutze, lieber Leser, bedecke ich das mir nicht-empfohlene Werk mit meinem Schweigen. Es hat übrigens wirklich gestunken.
mh
»Geh nach Hause. Leg´ deine Beine hoch. Und verdammt noch mal… entspanne dich!« Gut, das hatte sie getan, aber die Akten stapeln sich noch immer in ihrem Kopf, die Termine verwirren sich in den Gedanken, das Lärmen, das Zappeln des Alltags lässt sie nicht los. Sie liegt auf der Couch, drückt irgendeinen Knopf auf der Fernbedienung der Hi-Fi-Anlage in der Hoffnung auf Überlagerung. Keine Ahnung, was da kommt; kein Schimmer, was da läuft, aber dann auf einmal das Frösteln, die Stille. André. Sein weicher Pullover, das Seidentuch, der Duft von Jasmin. Der einzelne Klang einer Triangel. In dem Musikstück, das da irgendwo läuft, erklingt dieser Ton ein einziges Mal. Ihr eilen Bilder entgegen: die Mandoline, das Sofa. André auf dem Sofa; sie beide beisammen. Eine Berührung, ein Duft, ein Triangelton… und in all diesen fast vergessenen Stunden erzählt und erzählt ihr André die Geschichte, warum dieser Ton ihn so glücklich macht…
mh
„Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“
Gefunden habe ich das Zitat auf einem Flyer des Bündnisses Dortmund gegen Rechts. Rechtes Gedankengut ist kein zu vernachlässigendes Randphänomen. Das zu glauben, ist gefährlich. Weitere Infos zum Bündnis findet man übrigens hier.
mh
Er dachte sofort an Uroma Adele. Das Café war nicht gut besucht; nur wenige Leute. Die winzige, im Nacken gebeugte alte Frau mit ihren weißgrauen Haaren saß vor ihm, ein paar Tische entfernt, hinter dem Zweig eines Ficus. Sie hatte sich auf ihrem Schoß eine Papierserviette zurechtgelegt. Er sah wie sie erst verstohlen nach rechts, dann wieder nach links spähte, als sie die restlichen zwei braunen Zuckerwürfel in ihr Tuch wickelte, wie das Päckchen dann heimlich unter dem Tisch in ihrer Handtasche verschwand. Sie schaute sich um. Er duckte sich hinter den Ficus. Sie war es gewohnt, dass man sie heimlich beäugte. Er aber dachte sofort an Uroma Adele. Es war einige Zeit nach den knappen Jahren gewesen, dass sie ihm und Paulchen immer noch ein Stückchen Zucker zugesteckt hatte. Der süße Geschmack auf der Zunge kam ihm auf einmal wie der Gedanke: ungefragt, leise, und durch die Hintertür.
mh
Paradox
von Jannik Rossmann
so fremd aber doch so vertraut
so nah aber doch so fern
ihm ist warm aber doch kalt
er ist nicht alleine aber doch einsam
den Kopf voller Gedanken, doch ist er leer
schlaflose Nächte voller Träume
so laut und doch so leise
so hell aber doch so dunkel
so hoch aber doch so tief
so bunt und doch so grau
Appetitlosigkeit aber doch isst er
er trinkt obwohl er es nicht mag
um etwas zu vergessen
das er nicht vergessen kann
© Jannik Rossmann, 4.11.2015
Jannik Rossmann wurde 1996 in Bielefeld geboren. 17 Jahre wohnte er im Kreis Herford und zog dann wieder nach Bielefeld, wo er mittlerweile Sozialwissenschaften studiert. Seit 2008 Auftritte in der Gemeindebücherei Hiddenhausen und auf der Kleinkunstbühne der Olof-Palme-Gesamtschule, zuletzt auch in der Stadtbibliothek Herford im Rahmen der Matineereihe Café…Lese…Lust.
U-Bahn Duft
von Jannik Rossmann
U-Bahn Duft
Warme, trockene Luft
Wind
Helles, grelles Licht
Tief unter der Flur, Beton-Röhre
„Bahn fährt ein, Vorsicht am Gleis!“ – hallt es
Wildes Getöse an- und abfahrender Züge
Lärm
Türen öffnen sich
Viele Menschen –
unterschiedlicher Herkunft, Charakter, Aussehen
Kein Sitzplatz, stehen, festhalten
Junge Frau sitzt unweit entfernt
Ausstrahlung
Blickkontakt, Lächeln, Freude
Zug bremst, steige aus
Schaue dem Lächeln hinterher
© Jannik Rossmann, 16.12.2014
Jannik Rossmann wurde 1996 in Bielefeld geboren. 17 Jahre wohnte er im Kreis Herford und zog dann wieder nach Bielefeld, wo er mittlerweile Sozialwissenschaften studiert. Seit 2008 Auftritte in der Gemeindebücherei Hiddenhausen und auf der Kleinkunstbühne der Olof-Palme-Gesamtschule, zuletzt auch in der Stadtbibliothek Herford im Rahmen der Matineereihe Café…Lese…Lust.