Michael Helm

Shakespeare & Comp. und die Erstveröffentlichung des Ulysses

vom 16. Juni 2020

Ein Beitrag zum heutigen Bloomsday

„Ich stand auf dem Bahnsteig, mein Herz ratterte wie die Lokomotive, als der Zug aus Dijon langsam anhielt und ich sah, wie der Schaffner mit einem Paket in der Hand ausstieg und sich nach jemandem umsah – nach mir. Ein paar Minuten später läutete ich an der Tür der Joyces und übergab ihnen Exemplar Nr. 1 des Ulysses, genau am 2. Februar 1922.“ (1) (Sylvia Beach)

So beschreibt Silvia Beach selbst die Situation, wie sie James Joyce, dem Autoren des Ulysses, das erste Exemplar seines Buches, frisch aus dem Druck gekommen, an seinem eigenen Geburtstag überreichen kann. Die erste Auflage des Ulysses war in Dijon von Darantière gedruckt worden. Um Joyce am 2. Februar zu überraschen waren in vielen hektischen Nachtschichten die ersten beiden Exemplare eiligst entstanden und nach Paris ausgeliefert worden, wo sie Sylvia Beach, die erste Ulysses-Verlegerin am Bahnhof abholte. Joyce antwortete Beach in einem Brief: 

„Ich kann den heutigen Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne Ihnen für alle Plage zu danken und für all die Mühe, die Sie im letzten Jahr auf mein Buch verwendet haben.“ (2) (James Joyce)

Seine Dankesworte deuten an, dass es bis zur Veröffentlichung dieses epochalen Werkes, wie es uns heute in der modernen Literatur entgegenkommt, ein sehr langer Weg war. Was rückblickend für uns einem heutigen Weltautoren wie James Joyce doch ganz leicht gewesen sein müsste – nämlich den Ulysses zu veröffentlichen – stellt sich als das ganze Gegenteil dar. Diesen „empörenden Bericht über eine ekelhafte Phase zivilisierten Lebens,“ (3) wie Bernard Shaw darüber urteilte, zu veröffentlichen, kam selbst einer Odyssee gleich. 

James Joyce hatte seine finanziellen Rücklagen damit aufgebraucht, mit seiner Familie nach Paris überzusiedeln und eine angemessene Wohnung zu finden. So steht bereits die Entstehung des Buches unter einem finanziell schlechten Stern. John Quinn ein irisch-amerikanischer Rechtsanwalt in New York kaufte das Manuskript stückweise und half den Joyces jeweils mit einer kleinen Summe, die sie ein wenig weiterbrachte. Wenn Joyce ein Kapitel seines entstehenden Ulysses beendet hatte, schickte er die Reinschrift an Quinn in die Staaten und erhielt dafür die verabredete Summe. Doch ein Verleger fand sich weder in den Vereinigten Staaten, noch in Großbritannien oder anderswo. Verbote, die teils in diesen Ländern ausgesprochen wurden, machten eine reguläre Veröffentlichung nahezu unmöglich oder ließen bereits begonnene Projekte im Sande verlaufen, nachdem einige Vorveröffentlichungen durchaus vielversprechend gewesen waren. Der Hauptvorwurf: Teile des Werkes wären obszön und vulgär. 

Zu Hilfe kam eine kleine außergewöhnliche Buchhandlung, die sich gerade in Paris gegründet hatte: Shakespeare & Company. Die Gründerin war jene Sylvia Beach, die in ihrem Buchladen amerikanische und englischsprachige Literatur anbot. Besonderheiten in dem kleinen Pariser Laden, an der Rue Dupuytren, der später in die Rue de l´Odéon umzog, gab es viele: Über dem Eingang das Schild mit dem Konterfei des Namensgebers William Shakespeare, und in dem mit Büchern durchstandenen Laden Fotos von Walt Whitman und Edgar Allan Poe, Blakezeichnungen sowie Fotographien von Oscar Wilde.

Neben dem Buchverkauf bot Sylvia Beach auch Leihbücher an, was besonders finanzschwache Literaten wie Joyce in jener Zeit ausgiebig nutzten. Shakespeare & Company war also Buchhandel, Leihbücherei und Treffpunkt englischsprachiger, später gleichwohl französischer Literaten in einem. Hier verkehrten neben Joyce auch Gertrud Stein, Ezra Pound, André Gide, Hemingway und viele andere. Trotz der Tatsache, dass der Laden von Sylvia Beach zwar klein war und sich noch in der Gründungsphase befand, war es offensichtlich der ideale Startpunkt für ein Werk, das später erst zu Weltruhm gelangen würde. 

James Joyce
Ulysses
(Roman)
Übersetzt von Hans Wollschläger
Deutsche Ausgabe im Suhrkamp Verlag

Sylvia Beach und James Joyce arbeiteten eng zusammen, um die Überarbeitung und Veröffentlichung des Ulysses ohne eigentliche Verlagsstrukturen auf den Weg zu bringen. Sylvia Beach organisierte immer wieder Hilfen, wenn es darum ging, die fast unleserlichen Manuskriptseiten abzutippen, warb Subskribenten, organisierte von Paris aus den Druck in Dijon und versuchte ständig die nötigen finanziellen Mittel aufzutreiben. Nebenbei verkaufte sie Bücher, führte die Leihbücherei und stellte die nötigen Kontakte her, die Joyce vielleicht weiterhelfen konnten, organisierte Lesungen u.u.u.

Um die Subskribenten in den Staaten und Irland zu erreichen, mussten die späteren Exemplare regelrecht eingeschmuggelt werden, die gesamte Korrespondenz nicht allein von Joyce lief über Shakespeare & Company und wurde von dort weitergeleitet. Ein Marathon, bedenkt man die Rahmenbedingungen, unter denen diese Erstveröffentlichung stattfand. 

1922 war es dann letztlich soweit und das Buch erschien, für das heute und an jedem 16. Juni der Bloomsday in aller Welt begangen wird. Es ist der eine Tag an dem die Hauptfigur Leopold Bloom seine Odyssee durch Dublin begeht.

Wer weiß, was geschehen wäre, hätte es nicht die Ulyssesbegeisterung einer Sylvia Beach gegeben, das Durchhaltevermögen und den Willen, das damals so umstrittene literarische Werk herauszubringen. Vielleicht ein Beispiel, an dem sich unser Verlagssystem an so mancher Stelle mutiger orientieren könnte. 

mh


1 aus Sylvia Beach – Shakespeare and Company – Ein Buchladen in Paris / Suhrkamp 1982 / S. 97
2 aus Sylvia Beach – Shakespeare and Company – Ein Buchladen in Paris / Suhrkamp 1982 / S. 98
3 aus Sylvia Beach – Shakespeare and Company – Ein Buchladen in Paris / Suhrkamp 1982 / S. 62

Es gibt immer einen Weg

vom 12. Juni 2020

Freitags auf dem Block

Ein Gespräch mit dem Fotografen Jürgen Escher

„Kein anderes Medium hat die Kraft der Fotografie“ (Foto © Jonas Brander)

Jürgen Escher ist ein langjähriger Freund und Kollege. Das Interview führte ich in Corona-Zeiten, geprägt von Kontaktsperre, Einschränkungen vieler Lebensgewohnheiten, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Unsicherheiten und – für Jürgen Escher sehr bedeutsam – Reisebeschränkungen. Er konnte seinen Beruf nur sehr rudimentär im eigenen Büro ausüben. Auch das Interview entstand von Home-Office zu Home-Office.

Jürgen, wir leben im Augenblick in einer Zeit, von der ich vermute, dass uns dazu einmal jüngere Menschen fragen werden: Wie habt ihr das eigentlich damals erlebt? Fühlt sich dieser Moment für dich eher wie Alltag oder wie Geschichte an?

Jürgen Escher. Wie Geschichte! Das Virus hat uns klar gemacht, wie verletzlich wir in unserer globalisierten Welt geworden sind. Hoffentlich lernen wir daraus!?

Das Jahr 2020. Welche gesellschaftliche Entwicklung, welches gesellschaftliche Ereignis macht dir im Augenblick wirklich Sorgen?

Jürgen Escher. Die Menschen, die jetzt auf die Straße gehen und zusammen demonstrieren mit Verschwörern, rechten und linken Extremisten. Wer dort gutgläubig mitmarschiert, macht sich mitschuldig!

Vor genau 75 Jahren wurde Deutschland von den Nationalsozialisten befreit und der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Ist es für dich besorgniserregend, wenn Medienvertreter und Reporter in Deutschland heute wieder auf offner Straße angegangen, teils sogar angegriffen werden?

Jürgen Escher. Jedes Jahr sterben weltweit Kollegen und Kolleginnen, die uns informieren wollen, bei der Ausübung ihrer journalistischen Arbeit. Jeder Angriff auf die Presse ist gleichzeitig auch ein Angriff auf unsere Demokratie. Keine Freiheit ohne Pressefreiheit.

Kurzvita: Jürgen Escher
Geb. 1953 in Herford, ist Fotograf. Er studierte Fotografie von 1977-1983 an der Fachhochschule in Bielefeld. Seit 1983 ist er als Fotograf und Designer weltweit tätig für Hilfsorganisationen, Verlage und Redaktionen. Jürgen Escher ist Autor diverser Buchpublikationen. Seine Fotoarbeiten sind in vielen Einzel- und Sammelausstellungen im In- und Ausland zu sehen. Er lebt und arbeitet in Herford und ist Vater zweier Kinder. 
Infos unter https://juergenescher.de

Wir leben jetzt seit Wochen in der Corona-Krise mit Beschränkungen der Freizügigkeit. Du sprichst von Menschen, die gegen die Beschränkungen auf die Straße gehen, um zu demonstrieren. Du bist in der ganzen Welt als Fotograf unterwegs und kennst politische und soziale Umstände in Ländern, die man in Deutschland nur aus den Nachrichten kennt. Ist eine Freiheitsbeschränkung, wie wir sie jetzt in Deutschland erleben, bedrohlich? Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Jürgen Escher. Ganz entschieden ein Nein! Beruflich war die Pandemie für uns Fotografen extrem schwer. Alle Aufträge wurden storniert, das Reisen war unmöglich. Gottseidank gab es die Corona-Hilfe vom Staat! Wir hatten privat manchmal auch Zweifel an dem Lockdown und den damit verbundenen Einschränkungen gehabt. Aber wir sehen ja jetzt, dass diese krassen Maßnahmen sinnvoll waren.

Fühlst du dich im Augenblick in deiner Freiheit beschränkt? Wie wirkt sich Corona auf dich aus?

Jürgen Escher. Entschleunigung ist die richtige Antwort. Trotz aller Sorgen ist die Corona-Pandemie auch eine Möglichkeit, unser Tun zu überdenken und in Frage zu stellen.

Es wird jetzt oft betont, wie wichtig Kunst und auch die Kleinkunst für eine freie, demokratische Gesellschaft sei. Sind das Lippenbekenntnisse? Oder steckt dahinter für dich etwas Bleibendes?

Jürgen Escher. Ich bin da eher zwiespältig. Die freiberuflichen Künstler und Künstlerinnen aller Kategorien sind mit Sicherheit die großen Verlierer dieser Krise. Viele Hilfen waren unzureichend oder schlecht durchdacht. Unsere Kultur- und Kunstlandschaft wird nach der Pandemie eine andere sein. Künstler und speziell Kleinkünstler sind immer schon schlecht bezahlt worden. Ich habe es selbst miterlebt bei Kulturevents zum Beispiel, alle Beteiligten (Musiker, Moderator, Techniker, Handwerker etc.) wurden bezahlt nur die bildenden Künstler nicht. Man würde doch Werbung für sich machen und sicher Arbeiten verkaufen – ist immer wieder ein Totschlagargument der Veranstalter. Vielleicht beginnt jetzt ja ein Umdenken.

Seit einiger Zeit befinden wir uns in Europa im ständigen Krisenmodus: Die Banken-Krise, die Flüchtlings-Krise, die Corona-Krise, Demokratie-Krise, Krisen durch terroristische Anschläge. Hört sich als Europäer ziemlich dramatisch an. Ist es das? 

Jürgen Escher. Europa ist schon an der Flüchtlingskrise gescheitert. Jetzt droht Europa an der Corona-Krise zu scheitern. Solidarität in Krisen ist in Europa problematisch. Wir leben aber zusammen auf dieser einen Erde und wir müssen endlich anfangen, nicht nur europäisch (sondern global) Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam zu handeln.

„Seit dem Jahr 1983 arbeite ich als Fotograf in der ganzen Welt. In diesen 37 Jahren ist eine ganze Menge passiert. Ich liebe meinen Job noch immer! Warum? Weil ich einen der schönsten Berufe der Welt habe, das Fotografieren, die Menschen und das Reisen liebe.“ Jürgen Escher

Du sagst oft, du möchtest dazu beitragen, die Welt ein wenig besser zu machen. Wie wichtig ist dein Beruf, um sich auf den Weg in eine solche bessere Welt zu machen?

Jürgen Escher. Die Welt besser zu machen, fängt bei jedem selbst an. Wenn ich es schaffe durch meine Fotos Menschen zu berühren und zum Nachdenken zu bringen, habe ich schon viel geschafft.

Bilder und Fotos können auch lügen. Fotos werden aus dem Kontext gerissen und vor einen bestimmten propagandistischen Karren gespannt. Man kann sie manipulieren, um unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Wenn du an solche manipulativen Beispiele denkst, kommen dir dann hin und wieder Zweifel an deinem Beruf?

Jürgen Escher Ein guter Fotograf hat immer Zweifel. Aber kein anderes Medium hat die Kraft der Fotografie – deswegen wurden Fotos immer manipuliert. Der Vietnamkrieg wurde auch durch die Macht der Fotografien beendet. Als Konsequenz daraus fand der Falkland-Krieg danach ganz ohne Fotografen statt. Heute ist Kriegsberichterstattung nur noch embedded möglich. Jeder Fotograf/Fotografin ist ein Individuum und jede Fotografie ist erstmal eine individuelle Aussage – es gibt keine objektiven Fotos. Gibt es objektive Wörter?

Gibt es Grenzen der Fotografie?

Jürgen Escher. Diese Grenze sollte jeder in sich formuliert haben. Kein Foto sollte entstehen ohne das Einverständnis des Menschen, der fotografiert wird. Ein Beispiel: Wenn ich als Fotograf das Vertrauen der Menschen habe, sie zu begleiten und ihr Leben zu dokumentieren, dann sind auch Aufnahmen von Trauer, Verlust, Schmerz usw. möglich. Weil ihr Leben und Leiden dann wieder anderen Menschen einen Weg aufzeigen kann. Man gibt ihnen so eine Stimme!

Bei Korarak: Jusuf Kafi Durfan bringt die Familie seiner Schwägerin Hawa Elias mit ihren sechs Kindern in das Flüchtlingslager Yida im Süd-Sudan. Für den Marsch brauchen sie mehrere Tage, Nubaberge, Sudan, 2012 (© Jürgen Escher)

Welches von deinen Bildern ist dir im Augenblick das wichtigste und warum?

Jürgen Escher. Der Weg – fotografiert 1992 in Suriname für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Licht und Schatten komprimiert im Bruchteil einer zehntel Sekunde. Die Silhouette des Jungen am Ende des Weges auf dem Weg in sein Dorf; er, fasziniert von uns Neuankömmlingen (mit Boot) und ich, fasziniert von dem Motiv. Es existiert nur ein Negativ von dieser Szene, die mich und viele andere Menschen bis heute begleitet. Es gibt immer einen Weg.

Weg zum Dorf, Suriname, 1992 (© Jürgen Escher)

In Home-Office-Zeiten müssen viele Menschen anders mit der Alltagszeit, die sie haben, umgehen. Was machst du heute in deinem Alltag anders. Was davon würdest du gerne beibehalten, auch ohne den Virus?

Jürgen Escher. Da ich selbstständig bin und mein Büro eh zu Hause ist, würde ich nichts ändern wollen. Ich habe das Glück, meine Leidenschaft zu meinem Beruf gemacht zu haben. Das Reisen und das Eintauchen in andere Kulturen sind mein Lebenselixier. Und das kann ich hoffentlich bald wieder machen!

Was würdest du einem nahestehenden Menschen in 75 Jahren gerne sagen, was wir heute hätten einfach besser machen müssen?

Jürgen Escher. Durch Corona hätten wir eigentlich begreifen müssen: Wir leben zusammen auf dieser Erde und wir müssen endlich anfangen, global Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam zu handeln. 

Das Interview führte Michael Helm im Juni 2020.
Alle Bildrechte liegen bei Jürgen Escher.
Fotografenbild: Jonas Brander.

„Abermals sehe ich dich wieder …“

vom 05. Juni 2020

Eine fotografische Biografie

Aber niemand wird eine Stadt kennenlernen können,
wenn er sie nicht befragt, indem er sich selbst befragt.

José Cardoso Pires 
(1925-1998)

Lisboa. Die Stadt der Flüsterer. Es sind nicht die Wahrzeichen, wie in Rom, Paris, Berlin. Es sind nicht die unzähligen Touristenattraktionen. Es sind die Parks.

Wir schlendern zu zweit. Durch die Parks, durch die Straßen und Gassen der Altstadt. Die Tage im Grünen, auf einer Bank, der Mann hinter seiner Zeitung, die Nachmittage in den Cafés, nach dem Spaziergang, die Abende voller Jazz. Die europäische Metropole des Ausatmens. Lisboa.

Waren es nur zehn Tage? Tage, die meine Erinnerungen auszufüllen vermeinen. Tage, in denen ich Details rieche, das Alte, die Weite, das Wasser. Und den Café. Lisboa.

mh

Der Titel stammt aus einem Gedicht von Álvaro de Campos (Pseudonym Fernando Pessoas, 1926)

Die Prozedur

vom 04. Juni 2020

Neue Erzählung im aktuellen Literaturmagazin Tentakel

Die aktuelle Tentakel hat eine neue Erzählung von mir veröffentlicht. „Die Prozedur“ entstand 2019. Das ist relevant, weil sich die Geschichte wie ein Kommentar zur momentanen Situation liest. Kann man so lesen, muss man aber nicht.

Tentakel – Literaturmagazin
Literatur aus OWL 2_2020
3,50 € (auch als Abo beziehbar)
Infos & Kontakt

Corona

vom 29. Mai 2020

Eine Kolumne von Frank Müller zum Hören & Lesen

Neulich saß ich in unserem Garten und lauschte den Brunftschreien der Kohlmeisen, das Eichhorn schwang sich von Ast zu Ast, die Amsel brach durchs Unterholz, und der Rosmarin roch so verlockend nach Lammkeule – oder war es umgekehrt? Jedenfalls dachte ich: Irgendwas ist doch hier verkehrt. Ich sitze hier und freue mich meines Lebens, während die Welt da draußen verrückt spielt. Doch, halt: Nicht die ganze Welt! Wir befinden uns im Jahr 2020. Ganz Europa ist vom Coronavirus besetzt… Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Teutonen besetztes Mitteleuropa hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.

Corona, gelesen von Frank Müller
(Die Aufnahme entstand im Home Office. Kleinere Aufnahmemängel bitten wir daher allein dem Virus anzulasten.)

Hier gibt es Spargel, die Autoindustrie bekommt Subventionen, und es wird Fußball gespielt. Oder sagen wir: kind of. Es ist eher ein Produkt dieses Namens, das verkauft wird, um die Branche irgendwie am Laufen zu halten. Man verkauft also eine Sache, die man aller Eigenschaften beraubt hat, die sie genuin auszeichnen. Positiv formuliert: ohne jedes ablenkendes Beiwerk. Verstanden? Nein? Also, sagen wir: VW verkauft Autos ohne Motor und Räder, aber superbequem und mit super connectivity zu baugleichen Autos, die auf der Straße herumstehen wie die Stelen auf der Osterinsel. Blödes Beispiel – klar. Ist aber Kapitalismus. Entschuldigung – ich schweife ab. Fußball und Kapitalismus, der Vergleich kann ja nicht gutgehen. Wenn Sie jetzt sagen: Da ist ja jede Runde „FIFA2020“ auf der Konsole spannender!, muss ich diesen Einwurf (sic!) als höchst unsachlich zurückweisen. Gut: die Fans sollten vielleicht doch den Spielen beiwohnen dürfen, unter Auflagen, versteht sich: Fangesänge bitte nur in die Armbeuge, und husten nur in die Kniekehle. Und schön benehmen. Die Spieler natürlich auch: Begrüßung nicht per Handschlag, sondern per Fußtritt oder Ellenbogencheck, Fouls nur aus Einskommafünf Meter Abstand, und vor dem Elfer schön den Ball desinfizieren, damit der Torwart sich nicht ansteckt. Fußball ist das Vorbild für alle, ALLE WELT SCHAUT JÄTZT AUF DEN TEUTSCHEN FUSZBALL!!! Anders gesagt: Fußball ist jetzt systemrelevant. So scheint es. Obwohl:  Als systemrelevant bezeichnet man jetzt Menschen, die man früher schlecht bezahlt und wie Fußabtreter behandelt hat, denen man jetzt aber frenetisch applaudiert und sie hinterher immer noch schlecht bezahlt. Das Pokalfinale soll übrigens stattfinden, zwar nicht im Berliner Olympiastadion, sondern in der Augsburger Puppenkiste, als Geisterspiel, übertragen und kommentiert auf Sky. „Nosferatu, der der rechte Läufer der Transsylvanier, am Ball. Er hat den Ball – verloren diesmal  – Kopfball – abgewehrt – aus dem Hintergrund müsste Drosten impfen – Drosten impft! – Tooooor! Tooooor! Tooooor! – Die Bayern sind Meister!“

Frank Müller ist Patentanwalt aus Bielefeld, Jahrgang 1969, war bis 2007 Redakteur des Hörfunkmagazins »Literadium« und veröffentlichte dort u.a. Kolumnen und kurze Prosa. 2007 erhielt er den LfM-Bürgermedienpreis. Von 2008 bis 2015 las er seine Kolumnen im Rahmen der Sonntagsmatineen »Café…Lese…Lust« in der Stadtbibliothek Herford.

Ach, der öde Fußball, sagen Sie vielleicht, es gibt Wichtigeres. Friseurbesuche. Die plötzlich aufkeimende Sehnsucht nach einem Friseur kann ich wiederum  – was Sie vielleicht wiederum überrascht – gut verstehen. Ich erinnere mich gut an einen Urlaub in Irland, an dem mir mein Schopf lästig wurde, ich aber vor einem Besuch beim örtlichen barbershop in der nächsten Kleinstadt zurückschreckte. Mich quälte die fixe Idee, dass die vermeintlich allgegenwärtigen Schafscherer, die man tagsüber auf der Weide und abends im Pub antreffen konnte, sich außerhalb der Saison beim Barbier verdingten. Die Vorstellung, einer dieser vierschrötigen Kerle würde plötzlich aus dem toten Winkel des Frisierspiegels auftauchen, mich von hinten packen, aus dem Frisierstuhl heben, mich in Sekundenbruchteilen zu Boden zwingen und mit der Schafschere sein Werk an mir verrichten, ließ mich nicht los und ließ mich letztlich ungeschoren nach Hause fahren. Seither meide ich Friseursalons, die neben Gaststätten oder Grasflächen gelegen sind, unwillkürlich. Es versteht sich, dass solche Bedenken andernorts und in dieser Zeit unbegründet sind.

Nun mögen Sie einwenden, es gebe auch noch Wichtigeres als Friseurbesuche. Toilettenpapier zum Beispiel. Den Zusammenhang zwischen Hamsterkäufen und Toilettenpapier habe ich bis heute, nachdem das Phänomen an sich längst vorüber und auch hinlänglich erörtert worden ist, nicht verstanden. Hamster brauchen kein Toilettenpapier, es sei denn, sie bauen sich vielleicht Nester daraus, doch wer jetzt kein Nest hat, baut sich keines mehr, und mir persönlich scheint das auch unwahrscheinlich, ich bin aber kein Zoologe und auch kein Virologe. Wir selbst brauchten natürlich, unserem gewöhnliches Bedarf entsprechend, irgendwann trotzdem welches, in haushaltsüblicher Menge, wie man zu sagen pflegte, und es gelang uns, eine letzte Packung italienischer Provenienz zu ergattern. Dies erkannten wir leicht anhand der Aufschrift, die bei uns – im Hinblick auf den Inhalt vielleicht abwegig, in Anbetracht der Umstände aber sicher verständlich – Sehnsucht nach dem Süden weckte, aber auch daran, dass bei näherem Hinsehen die Blätter ein anderes Format aufwiesen als bei uns üblich. Daran wiederum erkannte ich sofort, wie deutsch ich eigentlich bin. Das Format eines Blättchens Toilettenpapier könnte mir ja wortwörtlich scheissegal sein, aber: ich bin mir hundertprozentig sicher, dass eine DIN-Norm existiert, die das Verhältnis von Länge zu Breite genau festlegt und auch die Stärke der Perforation. Und selbst wenn es nicht so sein sollte: Allein die Tatsache, dass ich mir dessen so sicher bin und dass ich mir überhaupt Gedanken darüber mache, zeichnet mich, nach meinem eigenen Verständnis des Deutschseins, jedenfalls als Deutschen aus. Das Gefühl, das alles seine Ordnung hat, gibt mir Sicherheit auch in der Krise, auch mit minderwertigem Toilettenpapier, Geistersport und schlimmer Frisur.

  © Frank Müller 2020

Alles beginnt mit …

vom 22. Mai 2020

Eine musikalische Biografie I

In „sozialen Medien“ bin ich auf die Idee gekommen. Dort posten Leute insgesamt zehn Musikalben, die in ihrem Leben bedeutend waren. Eigentlich finde ich die Idee gut, aber dort werden oft nur Plattencover gezeigt (die man kennt oder nicht) und meist steht nicht viel dazu geschrieben. Aber gerade das würde mich doch interessieren. Dass viele meiner „Follower“ Bob Dylan gehört haben, geschenkt. Warum? Zu welcher Zeit? In welcher Situation? Hier also jetzt ein erster Text (ohne Cover) …

ES WAR DER FILM! Wir gingen fast in jedes Studiokino der Umgebung, wenn er angekündigt war. Das war besser als jeder Discobesuch, in diesen altmodischen kleinen Kinosälen. Saal ist übertrieben.

Um noch Karten zu bekommen, mussten wir meist früh da sein. Wir bekamen dann diese kleinen Abrisskärtchen, durchnummeriert, aber ohne konkreten Aufdruck, die man wochenlang in der Jackentasche mit sich herumtrug und nicht wusste, in welchem Film man damit gewesen war. Der Freund war immer dabei, der, der mich überhaupt auf die Band gebracht hatte, und dessen Vater alle ihre Platten aus den 60ern und 70ern im Plattenregal hatte. An den Kinoabenden kamen dann noch lose Schulfreunde hinzu. Niemand sah den Film zum ersten Mal, aber der Freund und ich brachten in den Jahren wahrscheinlich weit über fünfzehn, vielleicht sogar über zwanzig Kinobesuche des Films zusammen. Das waren keine Nächte vor dem Video- oder DVD-Player. Nein, Kinoerlebnisse, das war Kult. Die roten Kinosessel zum Reinfleetzen. Der etwas muffige Geruch. Die Leute alle etwas anders drauf, als bei den großwandigen Hollywood-Schinken, in die wir natürlich auch gingen, die dem Film natürlich nicht das Wasser reichen konnten. Absolut gar nicht! Überhaupt keine Frage. Wir waren da schon echt anders. Reflektierter, intellektueller, vor allem aber arroganter. 

„Die Musik ging mir tagelang unter die Haut“

Kamen wir aus dem Kino, war mir der Film tief ins Gesicht geschrieben. Es folgten Diskussionen bis tief in die Nacht: jede Szene rauf und runter. Der Junge, der die Hand des fremden Vaters auf dem Spielplatz ergreift und abgewiesen wird. Der Tunnel und die maskenhaften Gesichter, dicht gedrängt in einem vorbeirasenden Zug. Die Zeichentricksequenzen. Natürlich das Gewürm, das expressiv aus der Haut platzt. Die Musik ging mir tagelang unter die Haut. Die Bilder kamen immer wieder hervor. Morgens im Unterricht, dem ich dann zweigleisig folgen musste, weil die Gedanken an die Filmszenen nicht verblassten. Und ich wollte ja auch gar nicht, dass sie verschwanden. Sie waren Gedankenfutter, überlagerten die schnöden Schulthemen. Hin und her haben wir die Texte von Waters gedreht, sie wurden unser alltäglicher Wortschatz, haben immer und immer wieder die Gilmour-Passagen auf der LP gehört, bis die Rillen mit der Zeit erheblich tiefer geworden sein müssen. 

Die Pink Floyd-Platte The Wall beginnt für mich mit dem Film. Er wurde fast zur Manie. Und die Diskussionen im Anschluss endeten nicht selten in Streitigkeiten mit den armen Zeitgenossen, die es wagten, den Film nicht zu mögen. Welch ein Kulturbanausentum, schrie ich. Reuig entschuldige ich mich rückblickend für die Arroganz meiner vehementen Gegenrede. Die hat Freundschaften auf´s Spiel gesetzt, ich weiß. Und wahrscheinlich habe ich ziemlichen Unsinn geredet. 

Pink Floyd – The Wall (Film, 1982)
Regie: Alan Parker
Drehbuch: Roger Waters
Hauptrolle: Bob Geldorf (Pink)

Aber es machte mich damals schon krank, wenn Another brick in the wall Part II — das so populär geworden war — bei Schulaufführungen gut gemeint und schlecht inszeniert getänzelt auf die Bühne kam, nur, weil es doch ach so viel mit der Lebenswelt Schule zu tun hatte. Glaubten die Lehrer. Das machte mich so wütend — und ungerecht. Es war vielleicht nur der Ausbruch meiner eigenen angekratzten Selbstgewissheit. Die Musik hat mich gefordert, vielleicht sogar überfordert. Es ist das Wesen der Musik, die einen lebenslang begleitet.

The Wall wurde die Platte, mit der ich etwas in mir fand, das ich vorher nicht gekannt hatte. Viele der Themen auf der LP bewegen mich noch immer (auch wenn ich mittlerweile meist andere Pink Floyd-Platten spiele): die Fragen nach den Folgen des Kriegs, nach den Ursachen faschistischer Tendenzen und nach der Einsamkeit des Protagonisten. Noch heute greifen mich einzelne Passagen von The Wall so an, dass ich sie nicht immer hören kann. Comfortably Numb ist für mich kein Hörerlebnis, sondern eine physische Erfahrung. Gleichfalls zeigt es mir, wie tief verwurzelt die Musik in einem liegen muss, dass sie mich ein Leben lang begleitet.

Pink Floyd – The Wall (LP, 1979)
Roger Waters (Bass & Gesang)
David Gilmour (Gitarre & Gesang)
Richard Wright (Keyboard & Gesang)
Nick Mason (Schlagzeug & Percussion)

Michael Helm

Ein Zitat

vom 18. Mai 2020

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“

Georg Büchner, Woyzeck

Ikarien

vom 15. Mai 2020

Freitags auf dem Block

Gedanken zum Roman von Uwe Timm

Michael Hansen kehrt 1945 als amerikanischer Offizier in das Land seiner Geburt zurück, nach Deutschland. Sein Auftrag für den amerikanischen Geheimdienst: die Bedeutung des deutschen Eugenikers Alfred Ploetz für die nationalsozialistische Ideologie zu untersuchen. Hansen kommt in den letzten Kriegstagen in ein völlig zerstörtes Land. Ploetz ist bereits tot, aber Michael Hansen trifft dessen Weggefährten seit Schultagen, den Antiquar und Publizisten Wagner, und beginnt den alten Mann über Ploetz zu befragen. 

Uwe Timm – Ikarien
Roman
Kiepenheuer & Witsch, 2017, 506 Seiten

In den mehrtägigen Interviews mit Wagner erzählt der Autor Uwe Timm die Geschichte der historischen Person Alfred Ploetz und bettet diese reale Figur ein in eine fiktive Romanhandlung. Das Aufeinandertreffen der Romanfigur Wagners mit der historischen des Alfred Ploetz bildet das literarische Gerüst des Romans. 

Wagner redet über den alten Freund, über gemeinsame Tage, Dispute, über Persönliches im Umgang miteinander. Und Wagner schildert rückblickend die Lebensgeschichte des Chefeugenikers der Nationalsozialisten. Er kann sie persönlich einordnen, bewerten, sich nähern, sich aber auch distanzieren — beurteilen und verurteilen. In Wagners Erinnerungen, die durch typische Abschweifungen, Selbstbetrachtungen und Schleifen gekennzeichnet sind, wird Wagner zu einer tragenden (Gegen-) Figur des Romans.

Hängen beide Protagonisten in ihren jungen Lebensjahren noch sozialistischen Utopien an, wird sie ihr Lebensweg in entgegengesetzte Richtungen führen. Wagner bleibt den frühen Ideen treu, Alfred Ploetz hingegen wird zum Rassenhygieniker.

Eindrucksvoll ist es, diese Entfremdung beider zu verfolgen, zumal sie sich aus einer völlig unterschiedlichen Bewertung derselben Ereignisse ergibt. Die Beobachtung gesellschaftlicher Begebnisse führt hier zu diametral entgegengesetzten Weltbildern.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Figur des Interviewers, des Offiziers Michael Hansen. Gleichzeitig schaut er auf die Interviewerzählung aus der Sicht des unmittelbaren Nachkriegsbeobachters und Deutschamerikaners. Es ist der Blick auf die Entwicklung der Eugenik bis hin zur Rassenideologie der Nationalsozialisten vom Ende her betrachtet — nach der Befreiung und mit dem schonungslosen Blick auf die Folgen des Krieges und der Naziideologie. 

Uwe Timm versteht es, die verschiedenen Zeiten, Orte und Handlungsstränge, aber auch die verschiedenen Formen des Erzählens (Tagebuchpassagen, Interviewmitschnitte, personale Erzählsituationen) geschickt stilistisch zu verflechten. Gerade das erste und die letzten Kapitel besitzen eine besondere erzählerische Finesse, die mir gefallen hat. 

Manchem mögen die gesellschaftstheoretischen Betrachtungen zwischenzeitlich vielleicht etwas lang werden, aber das Konzept, einen Roman um die biografischen Begebenheiten der historischen Figur des Alfred Ploetz herum zu bauen, geht für mich auf. Eine reine Biografie hätte die unterschiedlichen romanhaften Perspektiven auf die Person Ploetz und die Geschichte der Eugenik nicht ermöglicht.

Der Roman ist ein gelungenes Zeitbild und ein geschicktes Spiel mit der Betrachtung historischer und gesellschaftlicher Ereignisse, die selbst zur Betrachtung wird.

mh

Berührung im Nebel

vom 08. Mai 2020

Freitags auf dem Block

Das alles geschah wie in einem Nebel. Die Musik drang hindurch, ein paar Lichtstrahlen, ein Jazzbesen strich seinen Takt … die Enge des Jazzkellers … Schleierfetzen wabernden Kohlenoxids: Wir hatten etwas zu viel Rotwein getrunken, uns amüsiert. Bernd sprach Worte, die niemand verstand, dann schwieg die Snare, die Unruhe begann. Ich klatschte. Da spürte ich einen Arm, Finger, die an meiner Hand vorbeistrichen. Das Weinglas, vor mir, verschwand einfach. Keine große Bewegung, kein Wort, kein Laut, nur die Geste im Nebel. Eine junge Frau erhob sich mit meinem Glas und weil ein Scheinwerfer sie vorübergehend anstrahlte, sah ich eine Nuance ihres Gesichts, sonst Schatten. Mit dem leicht geschwenkten Rotwein und einer Freundin war sie beinahe verschwunden. Jedoch …, bevor sie unter einem der Gewölbebögen abtauchte, sah ich, wie sie das Glas an den Mund führte, wie mein Wein ihre Lippen berührte … ein unsichtbarer Kuss lag auf ihnen. Ich lächelte still vor mich hin. 

Michael Helm

Unglaubliches in C-Zeiten

vom 05. Mai 2020

Aufgelesenes VII

Es gibt Tage, die sind zum Kotzen. (Schuldigung, aber so heißt dat nun mal bei uns im Pott.) Es gibt Tage, die sind so schnell vorbei, obwohl ich im gewerkschaftlichen Sinne nicht gearbeitet habe. Wenn ich mir jetzt aber anschaue, was ich im März und April so alles gelesen habe, dann muss ich mich schleunigst nach einer anderen Definition für Arbeit umsehen.

Ich führe ein kleines Lesetagebuch und dahinein verirrte sich jüngst mein überraschter Blick. Das sprengt im Augenblick alles Dagewesene. Plötzlich habe ich Zeit für Bücher, die längst im Regalhintergrund verschwunden waren. Jetzt räume ich andere vorwitzige Exemplare aus der ersten Reihe zur Seite und entdecke … Unglaubliches:

Max von der Grün – Stellenweise Glatteis, Flächenbrand, Die Lawine. Wolfgang Koeppen – Das Treibhaus, Tod in Rom. Klaus Böldl – Der Atem der Vögel, Der nächtliche Lehrer. Georg Büchner – mal wieder den Lenz. Hans-Ulrich Treichel, Juli Zeh, Mathijs Deen, Jon Fosse und und und …

Und endlich mal wieder Zeit, mich durch Sachbücher – wie die zur jungen Bundesrepublik – durchzuwälzen. Und niemand ruft an! Nicht einmal mein lieber Freund und Kollege Jürgen E., der dann immer in den Hörer schrie: „Aaaarbeit!“

Gibt’s nicht mehr, aus, finito.

Allerdings …, manchmal vermisse ich sie eben doch, die Schüler, die mich liebevoll nerven, das Publikum, das dann alles wirklich ganz genau wissen möchte, die Veranstalter die dieses und jenes wollen (wer will das nicht?) und die lieben Kollegen, die alles besser gestern erledigt wissen müssen. Ach, was hab´ ich euch alle lieb!

Tja, Arbeit, wie immer man sie definiert, sie kann so schön sein.

mh

PS. Bevor alle besorgt nachfragen: Nein, ich habe meinen Job nicht drangegeben. Aber ich brenne momentan eben nur innerlich. ;)