Michael Helm

Bücher Erleuchtung

vom 17. Januar 2020

Es gibt nicht so viele zeitgenössische Autoren und Autorinnen, von denen ich nahezu alles gelesen habe. Dazu bedarf es bei einem solch immensen Bücherpensum schon einer Spur Verrücktheit. Kommt von Peter Stamm ein neues Buch heraus, egal ob Roman, Erzählband oder anderes, dann schiebe ich allerdings alles andere zur Seite. Muss ich mich jetzt einen Fan nennen? Ich erschrecke beim Schreiben. 

Reise ich dem Mann tatsächlich von Lesung zu Lesung hinterher? Stehe ich regelmäßig in der Schlange zum Signieren, um einen persönlichen Blick zu erhaschen? Besitze ich jede Ausgabe, aber auch wirklich jede! — auch wenn ich eine ältere bereits mein Eigen, meinen Schatz nenne? Fehlte noch, dass ich Briefe an ihn schriebe. 

So schlimm ist es noch nicht, obwohl manche Allüre im Buchgeschäft Anlass für solche Gedanken gäbe. Alles ist Event und da muss man sich schon fragen, warum hunderte Lesebesessene zum Beispiel bei Buchmessen in der Schlange vor dem geheiligten Autor oder der Autorin stehen — und der Verlag zwecks Versüßung der Wartezeit schon Kaffee und Kekse zu reichen beginnt — damit man diesen einen geschwungenen, aber unleserlichen Schnörkel ergattert, der das Buch im Regal zur Erleuchtung bringt. Ich bin kein außergewöhnlicher Mensch, weil ich mich vor solchen Signierschlangen in Acht nehme. Es ist auch noch niemand durch sie zu Schaden gekommen, muss ich zugeben. Sie beißen ja nicht. Doch erstaunt es mich schon. 

Die Lektüre erfährt durch die Signierung keine Aufwertung. Meine Begeisterung für Peter Stamms Bücher ist auch ohne seinen Namenszug ungebrochen. Bei einer Lesung eines anderen, hier ungenannten Autoren, den ich vorher sehr schätzte, der mir jedoch äußerst unsympathisch bei der Lesung erschien, erwischte ich mich bei der Frage, welche Auswirkungen das auf meine zukünftige Lektüre seiner Bücher hätte. Ich zwinge mich bis heute, seine Werke zu lesen und sie zu genießen. Absurd.

Übrigens, ein geschätzter Kollege, eigentlich frei von jeglichem Literaturdünkel, erzählte mir von der berühmten Lesung der Olga Tokarczuk in Bielefeld, nach der Bekanntgabe des Literaturnobelpreises am gleichen Tag. Vorher hatten sich kaum Leute für die Veranstaltung interessiert. Nach der Bekanntgabe, die vortragende Autorin werde den Preis bekommen, wäre die Lesung zigmal ausverkauft gewesen, wäre das nur möglich gewesen. Ein Wandel der Wertschätzung innerhalb weniger Stunden? Der geschätzte Kollege sprach von diesem Bielefelder Kulturereignis, als hätte Moses ihm persönlich die Gesetzestafeln vor Ort überreicht. Zugegeben, der Vergleich hinkt, denn bei Moses hat es schließlich nicht zum Literaturnobelpreis gereicht. 

Man kann sich nie ganz freimachen von solchen Markteinflüssen. Neulich habe ich ein antiquarisches Exemplar von Vladimir Sorokin erstanden. Es war ein signiertes Exemplar von 23000 und sündhaft teuer. Die Unterschrift Sorokins in Form eines steil aufsteigenden Strichs hätte ich sicherlich selber hinbekommen, nur den Inhalt des Buches leider nicht. Und zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, es gab überhaupt nur noch dieses Exemplar zu erwerben. War ein „Strich“ drin, aber gut … es erleuchtet nun auch mein Regal und ich spare erhebliche Kosten für die elektrische Beleuchtung. Signierte Bücher — ab einer bestimmen Anzahl in der Bibliothek — tragen zur CO2-neutraleren Lektüre bei. Sie strahlen, ohne an das örtliche Stromnetz angeschlossen zu sein.

So hat es sein Gutes und auch ich gönne mir ab und an die Signierung eines geliebten Bandes oder die besonders schön gebundene Ausgabe des Romans, den ich längst schon kenne. Man lebt ja schließlich zwischen seinen Büchern.

Michael Helm

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