Michael Helm

Albert Camus

vom 27. Juni 2022

Die Ausgangslage II

Camus´ Gedanken teilt man oder eben nicht. Diesen Satz habe ich oft gehört. Das sei eben keine strenge Philosophie. Das kann sie gar nicht sein, war immer meine Erwiderung. Hatte nicht Camus selbst behauptet, die Philosophie gehöre zu den Sinnstiftungs-Überbauten denen sich der Mensch hingäbe, um dem Absurden zu entfliehen? Überhaupt, das Gefühl des Absurden. Vielleicht fingen die Differenzen mit meiner Philosophielehrerin schon hier an. Gefühle sind nicht Gegenstand der Philosophie. Der Schüler der zwölften Klasse kann sie schlecht ignorieren und es fällt ihm bis heute schwer. 

Das alles ist eine unzureichende Begründung dafür, dass ich mir wieder die Bände von und über Albert Camus hervorgeholt habe. Erst die Biografie von Olivier Todd, dann die von Iris Radisch. Parallel dazu „Der Fremde“ und „Licht und Schatten“. 

Olivier Todd beschreibt das Leben Camus´ so detail- und umfangreich, dass ich die Lektüre nach hundert Seiten abgebrochen habe. Mir fehlte die Ausdauer. Das Buch von Iris Radisch hat mich dann etwas geärgert. Ich bezweifle mittlerweile, dass man solche Wertungen und Beurteilungen über einen Menschen zu treffen in der Lage ist. Nicht falsch verstehen: Das Buch ist aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vortrefflich recherchiert. Es ist fundiert und alles darin scheint sicher belegt. Zweifel darüber, das Leben eines längst verstorbenen Autors so zu beurteilen, bleiben mir dennoch. 

Zu vieles scheint mir in solchen Biografien durch die Brille der heutigen Zeit betrachtet, mit heutigen Beurteilungskriterien bemessen zu sein. Zeitlicher Abstand macht überlegen, überheblich. Camus als Dandy und Frauenheld, das ist alles benannt, aber nicht hinreichend erklärbar. Wie will man es auch erklären, ohne deutlich zu machen, dass es sich nur um eine Näherung an einen Menschen handeln kann. Ich ahne als Leser, dass biografisch, psychologisch einiges mehr dahinter stecken muss, als darstellbar wäre. 

Ist ein Mensch — der sich selbst nicht ohne Selbstzweifel erklären könnte — überhaupt erklärbar. Eine Näherung an ihn, vielleicht hilfreich, eine umfassende Darstellung seines Selbst in seiner Zeit, unmöglich. Denke ich heute.  

Mit diesem Zweifel gelesen, war die Biografie „Albert Camus – Das Ideal der Einfachheit“ dann doch noch ganz lesenswert für mich. Mein Fazit ist allerdings, dass ich Biografien zunehmend misstraue. Das hat vielleicht weniger mit dem Buch von Frau Radisch zu tun, als mit dem misstrauischen Gedanken selbst. Vielleicht ist der Ansatz eines Olivier Todd dann doch gewinnbringender und ich muss die nötige Geduld aufbringen, die vielen Details nebeneinander stehen zu sehen. Besser ist es allemal, die Werke, Tagebücher und Nachlassschriften selber zu lesen und einzuordnen. Ich bin gefordert.

mh

Olivier Todd
Albert Camus – Ein Leben

Übersetzt von Doris Heinemann
Rowohlt, 1999

Iris Radisch
Das Ideal der Einfachheit – Eine Biographie

Rowohlt, 2014

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